Elisabeth Cajacob, Andi Egli und Beni Haas (Foto: Gaëtan Bally)
Billettkasse

Sie erhalten Reklamationen und Süssigkeiten

Andi Egli, Beni Haas und Elisabeth Cajacob sitzen seit vielen Jahren an der Kasse in der Tonhalle Zürich, im Sommer werden sie pensioniert. Höchste Zeit für einen Besuch.

Michaela Braun

Spannende Zeiten an der Billettkasse. Es tut sich eigentlich immer viel. Alle sechs Mitarbeiter*innen sind heute da, drei von ihnen bleiben nur noch wenige Monate. Ich lasse mir alles erklären, wir gehen in Gedanken durch die Jahrzehnte, begutachten den renovierten Raum mit seinen positiven wie herausfordernden Seiten. Auch die neue Gegensprechanlage wird mir gezeigt. Man hört den sehr halligen Eingangsraum, es ist laut im Büro der Kasse. Leider drücke ich den Knopf zu fest und die Anlage segnet für einen Moment das Zeitliche. Dafür braucht es ein feines Händchen. Wie bei fast allem, mit dem die Kolleg*innen zu tun haben.

Sie kümmern sich mit Leidenschaft um unser Publikum. Viele Besucher*innen kennen sie seit Jahren und mit Namen, sie wissen genau, mit wem man über Musik oder die Familie reden kann – und auch, von wem man Reklamationen zu erwarten hat, wer die «schwierigen» Kund*innen sind. Aber zuerst sind wir damit beschäftigt, die Anlage wieder in Gang zu bringen. Unser Kassenchef Andi Egli schafft es in kürzester Zeit; die Reparatur des Druckers habe deutlich länger gedauert, meint er. Also Peanuts.

Beim Morgenkaffee kommen wir ins Gespräch. Es gibt etwas Süsses dazu, davon hat es immer genug: Zur Weihnachtszeit ist der Kassen-Hinterraum fast ein Gourmettempel. Die Kunden bedanken sich mit Naturalien, und zwar grosszügig. Auf die Frage, was denn die anstrengendste Zeit ihrer Tonhalle- Karriere war, kommt unisono: Corona. Die meiste Zeit war das Haus zu. Aber die Mitarbeiter*innen der Kasse waren da. Da gab es kein Home-Office. Aber das sei okay gewesen, sagen sie. Sie stellten sich nicht die Frage, ob sie nun lieber daheim wären wie alle anderen aus dem Haus, sie mussten da sein und fertig.

Das Sorgentelefon

Der erste Lockdown wurde am Freitag, 13. März 2020, verkündet; am Montag danach kam Elisabeth Cajacob ins Büro und hatte 600 Mails in der Inbox (normalerweise sind es an die 50). Die meisten Kund*innen wollten nur das eine – das Geld zurück. Sie fügt aber an, dass es auch viele gab, welche die Karten spendeten. Sorgentelefon waren sie in Corona-Zeiten mehr als sonst. Viele Kund*innen sassen alleine zu Hause, abgeschottet von der Welt. Alle drei führten viele Telefonate: Auch das gehört zum Beruf.

Die Ungewissheit, wie es weitergehen würde und vor allem wann, bedeutete schon etwas Stress. Und als es dann weiterging, so erzählt Andi Egli, kamen die nächsten Beschwerden: Maske ja, Maske nein, 3G ja oder nein und warum nicht überhaupt alles ignorieren, was aus Bundesbern kam. «Wir hätten uns sicher strafbar gemacht», meint er heute mit einem Augenzwinkern. Aber auch die Post-Corona-Zeit war anspruchsvoll; als der Betrieb wieder startete, ging die Arbeit nicht aus. Es galt, die Abos wieder einzuführen. Jede Rechnung musste einzeln abgefertigt werden, da die Kunden verschiedene Guthaben hatten. Aber besser so als anders, findet Beni Haas. Und den Wiedereinzug in die Tonhalle Zürich gab es ja auch noch.

Vieles hat sich im Laufe der Jahre geändert. Das Publikum ist jünger geworden, dank attraktiver Aktivitäten und Preise; es bestellt auch mehr online. Dennoch gibt es viele, die sich beraten lassen. Aber auch viele, die trotz des Wunsches nach Beratung viel Wissen haben. «Im Web gibt es viel mehr Informationen heute, die abgerufen werden können», meint Andi Egli. Es gäbe viele Kund*innen, die man überzeugen könne, sich auch mal ein komplexeres Programm zu gönnen. «Und wenn sie nach dem Konzert anrufen und sich für den Tipp bedanken, dann weiss ich, dass ich eine gute Arbeit gemacht habe», ergänzt Elisabeth Cajacob.

Andi Egli geht regelmässig in die Konzerte, um die Kund*innen zu sehen. Es sei nun nicht so, dass der Spielplan auf dem Nachttischchen liege, «aber die Künstler* innen und Werke muss man schon kennen, sonst funktioniert seriöse Beratung nicht», sagt er. Man müsse dauernd am Puls der Zeit sein, so sei es halt.

Mit Humor gegen Hektik

Nicht nur jünger ist das Publikum im Vergleich zum Anfang seiner Karriere geworden, sondern auch internationaler, sagt Andi Egli. Und, das stellen alle drei fest: Beschwerden kommen rund um die Uhr rein, auch morgens um 3 Uhr. Seit es Mails gäbe, sei die Kommunikation rauer geworden. Und mit Corona hätten viele ihre Grosszügigkeit verloren, auch sich selbst gegenüber, das merke man in der Beratung oder im Verkauf durchaus. Aber wenn man Menschen möge, so Beni Haas, dann sei es einfacher. «Mein Ziel war immer, dass die Leute glücklich vom Schalter weggehen», ergänzt sie.

Neben der Beratung und dem Verkauf ist die Lust an Konzertbesuchen ebenfalls sehr wichtig. Zum Stichwort «Höhepunkte der vergangenen Jahre» erhalte ich verschiedene Antworten. So verschieden, wie die drei eben auch sind. Martin Fröst und Sol Gabetta waren es für Andi Egli; Mahler, Brahms und Bruckner mit immer wieder anderen Dirigenten seien stets eine Entdeckung für ihn gewesen. Elisabeth Cajacob fing Feuer für Krzysztof Urbański, als er das erste Mal da war und auch kürzlich im Silvesterkonzert wieder, als er ein Werk von Friedrich Gulda dirigierte; ausserdem faszinierte sie Yuja Wang mit ihrer Perfektion. Und für Beni Haas war der Maestro aller Maestri, Herbert Blomstedt, immer wieder ein Erlebnis; als Gegensatz dazu der junge Martin Grubinger, ausserdem Joshua Bell und Mitsuko Uchida.

Wer an der Kasse arbeitet, erlebt viele hektische Momente. Aber es sei besser geworden, sagt Beni Haas, seit man den Kartenvorverkauf immer im Sommer starte – und nicht mehr wie früher erst einen Monat vor den Konzerten. Da standen die Leute jeweils gut eine Stunde an. Disziplin (der Kunde ist immer König), Abend- und Wochenend-Einsätze, viel Humor: All das finden alle drei relevant für ihre Arbeit. Und wenn bei einem Hackerangriff wie vor einigen Jahren das System ausfalle, dann müsse man halt Ruhe bewahren. Am einfachsten sei es in den Orchesterferien, dann könne man einfach auch mal normal abarbeiten, was in den alltäglichen Turbulenzen liegen geblieben ist.

Und wie geht es ab dem Sommer weiter? Alle drei haben Pläne. Andi Egli stürzt sich in seinen Garten und geht auf Reisen. Und viele Bücher gäbe es da noch zu lesen. Beni Haas freut sich auf ein unverplantes Leben und alle neuen Freiheiten. Enkelkinder und Enkelhund haben Priorität bei Elisabeth Cajacob, dazu die eine oder andere Reise und das machen, worauf man eben Lust habe. Einig sind sie sich in einem: Ins Konzert werden sie auch weiterhin kommen.

65 Jahre …

… haben die drei insgesamt hinter der Kasse verbracht:
Andi Egli seit 1998
Beni Haas seit 1999
Elisabeth Cajacob seit 2007

veröffentlicht: 19.06.2023

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