Unsere Stars – Teil 1
Wer sind oder waren die Stars unserer Musiker*innen? Anita Leuzinger, Seth Quistad und Calogero Palermo verraten ihre Favoriten.
Seth Quistad, Solo-Posaune
«Als ich aufwuchs, gab es noch kein YouTube; man hat sich eine CD gekauft und die war es dann. Ich hatte zum Beispiel jene mit den Brahms-Sinfonien des Chicago Symphony Orchestra unter Sir Georg Solti: Das war meine Referenz – bis ich diese Werke in Zürich unter der Leitung von David Zinman gespielt habe. Auch wenn ich Soltis Interpretation nach wie vor mag: Sie scheint mir nun ein bisschen altmodisch. Beim Trompeter Wynton Marsalis ist das anders, er ist zentral für uns Blechbläser, und er bleibt aktuell, in der Klassik wie im Jazz. Ich habe mehrere Konzerte mit ihm erlebt und bin immer noch fasziniert davon, dass es gar keine Grenze zwischen ihm und seinem Instrument zu geben scheint. Die Musik fliesst einfach ...
Auch mein Studium muss ich erwähnen, wenn wir über Vorbilder sprechen. Mein Lehrer hatte mir geraten, aufgrund von CDs zu entscheiden, welcher Posaunengruppe ich gerne zuhöre. So kam ich nach Montreal, wo es wirklich eine unglaubliche Gruppe gab: Sie waren Freunde, aber nicht beste Freunde; alles war sehr respektvoll und kollegial. Auf der Bühne spielten sie grossartig, und dahinter fiel nie ein schlechtes Wort.
Abgesehen von der Musik fällt mir der amerikanische Autor Joseph Campbell ein. Er schrieb viel über Mythologie, auch den Buddhismus und das Christentum hat er mythologisch interpretiert. Es ging stets darum, was man von diesen Mythen lernen kann über die gute Art zu leben.
Ein Satz ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: ‹Du musst bereit sein, dein geplantes Leben aufzugeben für das Leben, das auf dich wartet.› Daran habe ich mich gehalten, als ich mich in Zürich bewarb: Ich sah diese Ausschreibung, hatte aber keine Ahnung vom Tonhalle-Orchester – wie gesagt, es war die Zeit vor dem Internet. Aber da war der Name David Zinman, der in Amerika sehr bekannt war; auch mein Vater, der Musiklehrer war, bewunderte ihn. Ich wollte unbedingt unter ihm spielen. Und ich wurde nicht enttäuscht!»
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Anita Leuzinger, Solo-Violoncello
«Mich haben vor allem vier Musiker geprägt, drei davon sind enge Freunde geworden. Musikalische und menschliche Qualitäten gehören für mich zusammen; wenn sich ein guter Interpret problematisch verhält, gehe ich sofort auf Distanz.
Der erste dieser Musiker ist Thomas Grossenbacher, der ehemalige Solo-Cellist des Tonhalle-Orchesters Zürich. Er war in Gymi-Zeiten mein Lehrer, später sassen wir gemeinsam im Orchester; er ist ein superlieber Mensch. Studiert habe ich dann bei Thomas Demenga, auch er ist in jeder Hinsicht ein Vorbild – musikalisch, menschlich, pädagogisch. Als dritten möchte ich den kürzlich verstorbenen Pianisten Ferenc Rados nennen, ich war häufig mit meinem Klavierpartner im Unterricht bei ihm. Er hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, und er hat mir noch einmal einen neuen Zugang zur Musik gezeigt.
Der vierte Name schliesslich ist der von Heinz Holliger. Ich habe ihn einst kennengelernt, als er das Orchester dirigierte; seither haben wir oft zusammengearbeitet. 2008 zum Beispiel probten wir in Ernen öffentlich ein Stück von ihm, was übrigens eine Idee von Thomas Demenga war; das Publikum konnte die Entwicklung der Interpretation miterleben und bekam so einen ganz anderen Bezug zu diesem Werk. Holliger ist als Komponist, Dirigent und Oboist ein Universalmusiker. Und wie Rados ist er ein Universalgelehrter, man kann ihn alles fragen: nicht nur über Musik, sondern auch über Politik, Geschichte, Kunstgeschichte.
Allgemein fasziniert es mich, wenn Menschen sich mit ganzer Seele in etwas hineingeben. Neben diesen Musikern kommt mir da die Hebamme in den Sinn, die mich bei den Geburten meiner beiden Kinder begleitet hat: Sie hat mir so viel Vertrauen vermittelt. Das hat mich tief beeindruckt.»
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Calogero Palermo, Solo-Klarinette
«Als Musiker haben mich vor allem zwei Idole inspiriert – ein Musiker und ein Sportler. Der erste hiess Eliodoro Sollima und war mein Kompositionslehrer in Palermo. Er war der Vater des Komponisten Giovanni Sollima, von dem wir gelegentlich Werke aufführen. Fünf Jahre lang habe ich praktisch in dieser Familie gelebt, ich wurde wie ein Neffe aufgenommen.
Wir haben stundenlang über Musik diskutiert, Eliodoro Sollima sagte immer: Selbst wenn du nie ein eigenes Stück schreiben willst, ist es wichtig, dass du Komposition studierst. Es reicht nicht, schön zu spielen, du musst die Partituren verstehen.
Die beste Zeit kam, als ich meinen Führerschein hatte. Er selbst konnte nicht fahren, deshalb habe ich ihn jeweils in die Konzerte begleitet. Auf dem Hinweg erklärte er mir die Werke, auf dem Heimweg analysierten wir die Aufführung.
Einmal gab es ein Sommerfest auf dem Landgut der Sollimas, wir hatten ein kleines Volleyballturnier organisiert, aber er holte mich ins Haus, weil im Fernsehen ein Konzert mit Claudio Abbado übertragen wurde. Ich verstand überhaupt nicht, was Abbado machte, und Sollima freute sich über meine Verwirrung. «Bravo», sagte er, «genau darum geht es. Er schlägt nicht den Takt, er phrasiert, er macht Musik.» Mein sportliches Vorbild ist der Motorradfahrer Valentino Rossi. Er wirkte ja immer ziemlich verrückt, aber er bereitete seine Rennen minutiös vor – in einer Art, die sich durchaus mit der Vorbereitung eines Konzerts vergleichen lässt. So wie er die Piste studierte, studiere ich die Partitur. Wo gibt es Kurven, wo geht es geradeaus? Wie muss ich das Tempo oder in meinem Fall auch die Lautstärke dosieren? Je nach Bedingungen wählt ein Motorradfahrer die Pneus aus, ich muss mir überlegen, welches Blatt ich in die Klarinette einspanne. Und während Rossi sich auf Regen, Wind oder zu viel Sonne einstellen musste, ist bei uns auf Tournee die Akustik immer wieder anders.
Leider habe ich nie ein Rennen live gesehen. Einmal hatte ich eine Karte für einen Testlauf – doch das Wetter war zu schlecht, er wurde abgesagt.»



