
Das war unserer Europa-Tournee
Vom 15. bis 22. März 2025 waren das Tonhalle-Orchester Zürich und Paavo Järvi auf Europa-Tournee. Was wir dort erlebt haben, erfahren Sie hier im Blog.
Hamburg, Paris, Frankfurt, Köln und Essen: Dies waren die Stationen unserer von Merbag unterstützten Europa-Tournee. Mit dabei war an den ersten vier Orten der Pianist Víkingur Ólafsson, der nach der Schweizer Premiere von John Adams' Klavierkonzert «After the Fall» nun auch noch die deutsche und die französische Erstaufführung des Werks spielte. In Essen wurde er abgelöst von Anna Vinnitskaya, die wie kürzlich in Zürich Schumanns Klavierkonzert präsentierte.
Michaela Braun, Leitung Marketing und Kommunikation, und die Bratschistin Ursula Sarnthein berichten, was sie auf der Tournee erlebt haben:
Montag, 17. März 2025 – Hamburg
Jubel für Paavo Järvi, für den Solisten Víkingur Ólafsson und für das Orchester: Der Auftakt zur aktuellen Tournee ist in der Hamburger Elbphilharmonie nach Wunsch geglückt. Michaela Braun erzählt hier, was auf und neben der Bühne geschah.
Wasser, nicht Wodka
Immer wieder Hamburg, zum vierten Mal spielen wir hier, seit dieser traumhafte Konzertsaal respektive dieses einmalige Haus 2017 eröffnet wurde. Die Elbphilharmonie fasziniert immer noch, man fühlt sich zu jeder Tages- und Abendzeit wie an einer Pilgerstätte. Tausende Besucher*innen besuchen täglich die Plaza. Die Konzertkarten gehen weg wie warme Brötchen, und so waren auch unsere beiden Konzerte seit Wochen ausverkauft. Wir treffen beim ersten Konzert auf unseren Sponsor LGT Private Banking, der zahlreiche Kund*innen eingeladen hat.
Unser erstes Konzert ist moderiert. Man versuche, Nähe zu schaffen und Einsteigern Schlüsselwerke der Klassik zu präsentieren, sagt Burkhard Glashoff, der Geschäftsführer von Pro Arte; er veranstaltet solche Abende fünf bis sechs Mal pro Saison. Die Konzertpreise werden nicht nach unten korrigiert, um ein allfälliges Interesse zu steigern, nein, ein Konzert habe seine Wertigkeit. Víkingur Ólafsson stellte sich den Fragen auf der Bühne. Nachdem er klarstellte, dass in seinem Glas kein Wodka sei, sondern nur Wasser, und erzählte, warum er nicht Handball spiele, ist nach zwei Zugaben die Stimmung prächtig.
Am zweiten Abend – mit einem durchaus anspruchsvollen Programm mit Werken von Lutosławski, Ligeti und Adams – drehte das Publikum beim Applaus total auf. Paavo Järvi, der hier oft zu Gast ist, meinte, dass er so einen frenetischen Jubel mit Standing Ovations noch selten erlebt habe. Intendantin Ilona Schmiel und Marc Barwisch, Leitung Künstlerischer Betrieb, haben in der Zwischenzeit die nächsten Konzerte 2026 schon wieder eingetütet. Beide Seiten dürfen sich darüber freuen.
Und sonst so in Hamburg?
Hamburg ist im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Städten in der glücklichen Lage, dass die Bürgerschaft Ende letzten Jahres den Doppelhaushalt für 2025 und 2026 beschlossen hat, mit einem Plus von 11 Prozent für die Kultur. Das bedeutet ganz viel Planungssicherheit für die Kultureinrichtungen.
Das grosse Thema aktuell ist hier der Bau einer neuen Oper, finanziert aus privater Hand, in der boomenden Hafencity. Architektonisch soll natürlich auch dieses Gebäude herausragend sein und ein weiterer Leuchtturm der Stadt werden. Jetzt muss nur noch die Bürgerschaft dem Vertrag zwischen Stadt und dem Mäzen zustimmen.
Dienstag, 18. März 2025 – Paris
Nach dem erfolgreichen Auftakt in Hamburg ist das Orchester nun in Paris angekommen. Und in einem Hotel, an das die Bratschistin Ursula Sarnthein sehr bewegte Erinnerungen hat.
Partageons nos emotions!
So stand es auf dem riesigen Fussballstadion Stade de France, an dem wir auf der Busfahrt vom Pariser Flughafen zum Hotel vorbeifuhren. Unser «Stadion» heute Abend bietet zwar nicht 80'000, sondern nur 1600 Menschen Platz, aber die von aussen silbrig glänzende Philharmonie de Paris von 2015 ist ein faszinierender Ort, um unsere Emotionen zu teilen.
Emotionale Erinnerungen
Als ich das grosse Eingangstor des Hotels beim Gare du Nord sah, war ich plötzlich 27 Jahre zurückversetzt, denn wir logieren in genau dem Hotel, in dem ich 1997 eine zweiwöchige Probenphase des Gustav-Mahler-Jugendorchesters unter Pierre Boulez verbrachte!
Ich sehe mich noch mit meinem Koffer und dem Geigenkasten am Hoteleingang ankommen, freundlich begrüsst vom dem lustigen englischen Posaunisten, der später mit dafür verantwortlich war, dass das Gustav-Mahler-Jugendorchester in diesem Hotel Hausverbot erhielt – etwas gar wild waren die Parties, die dort zwischen den Proben gefeiert wurden …
Das Hotel ist inzwischen renoviert, schön fröhlich und quietschbunt, laut Eigenwerbung zeichnet es sich «durch farbenfrohe Street-Art-Wandgemälde» aus, «von lokalen Helden des 10. Bezirks inspiriert».
In diesem Hotel bereitete ich mich damals neben den Proben auf mein allererstes «richtiges» Probespiel beim Tonhalle-Orchester Zürich vor – zwei Wochen nach der 6-wöchigen Tournee des GMJO wollte ich mein Glück versuchen.
Im GMJO lernte ich dann einen Schweizer Kontrabassisten namens Oliver Corchia kennen, der gerade kürzlich das Probespiel beim Tonhalle-Orchester gewonnen hatte, und der mir anbot, dass ich im September in Zürich dann bei ihm übernachten könne. Meine Pultnachbarin war eine junge Geigerin aus Dresden, Ulrike Schumann, die dann im Jahr 2001 das Probespiel bei uns gewann und fortan auch im Tonhalle-Orchester neben mir sass! Seit 27 bzw. 24 Jahren sind wir nun alle drei Mitglieder des Tonhalle-Orchesters Zürich – das unseres Wissens noch nie Hausverbot in einem Hotel erhalten hat…
Jetzt noch ein Stündchen üben (der über dem Bett thronende Plüschfrosch und meine Zimmernachbarn werden sich freuen!), ein sonniger Spaziergang durch Paris – Place des Vosges bis Centre Pompidou haben die Flötistin Haika Lübcke und ich geplant – und dann auf zum Emotionen teilen auf der Bühne im Stade de la Musique!
Dienstag, 18. März 2025 – Paris
In Paris begann der Tag von Paavo Järvi früh – mit einem Radio-Interview. Michaela Braun war dabei.
Pariser Morgen
Dienstagmorgen, 7 Uhr: Ein Espresso und los geht es, zu Radio France an der Avenue J.F. Kennedy. Paavo Järvi ist zu Gast in der Morgensendung bei France Musique. Jeden Morgen ist ein anderer Künstler live im Studio. Heute wird Paavo 30 Minuten über seine Tätigkeit beim Tonhalle-Orchester Zürich erzählen, auch über Aufnahmen, den Saal in Paris und die Werke, die er ausgesucht hat. Der Einstieg ist allerdings politisch. Da er den amerikanischen Pass besitzt, wird er sogleich auf Donald Trump angesprochen. Gott sei Dank hat der Übersetzer uns vorab erzählt, dass er auch für die OECD mit Sitz in Paris übersetze – er war somit vertraut mit politischen Themen. Nach dem Statement zu Trump geht es dann aber doch schnell zur Musik.
Bevor Paavo Järvi 2010 als Chefdirigent nach Paris kam, war Sibelius nicht auf der französischen Musiklandkarte. Er war der Erste, der dessen Sinfonien mit einem französischen Orchester einspielte und darauf insistierte, dass auf dem Cover der Eiffelturm abgebildet werde. Beides ein Novum. Auf die Frage, warum es CD-Einspielungen auch heute noch brauche, entgegnet er im Radio-Interview, dass es die CD (oder Spotify) überall hinschaffe. Wir hören einen Ausschnitt aus Mahler 5 (Adagietto) – dazu meint er, das Orchester könnte sich nun nicht im Studio aufstellen, wir hätten gar keinen Platz, aber die CD liesse sich doch anhören und man könne sich ein Bild von der Qualität des Orchesters machen. «Eine CD ist die kleine Postkarte des musikalischen Lebens». Sie seien auch Zeitaufnahmen des Jetzt. Der Komponist habe seine Werke hinterlassen, und unser Vermächtnis seien eben die Aufnahmen.
Weiter sagt er, es sei ein Glück, einen Saal wie die Tonhalle Zürich zu haben. Sie sei ein Partner und ein weiteres Instrument zugleich – ein Ort, an dem man proben könne und an dem gleichzeitig die Konzerte stattfänden. Über die Philharmonie de Paris, die er vor genau zehn Jahren eröffnet hat, wird natürlich auch gesprochen.
Dazu gibt es Wünsche: Einen von Antônio Carlos Jobim, dessen Musik Paavo «so cool, so sexy» findet. Dazu hören wir Pärts «Credo», ein Stück von Rameau (eingespielt von unserem Solisten der Tournee – Víkingur Ólafsson) und «Take Five» von Dave Brubeck.
Das Radio-Team hat gut recherchiert. Zum Abschluss wird Paavo Järvi auf seine jährlichen Kommentare zum European Song Contest auf Social Media angesprochen. Seine Meinung dazu: «It’s a joke, but I love it.»
Hier können Sie das Radio-Interview mit Paavo Järvi und ein vierteiliges Special über das Tonhalle-Orchester Zürich nachhören.
Mittwoch, 19. März 2025 – Paris
Beim Konzert in der in der Philharmonie de Paris sassen 24 Freunde und Familienmitglieder unserer Flötistin Sabine Poyé Morel im Publikum. Michaela Braun hat mit ihr über Frankreich und ihren Weg zum Tonhalle-Orchester Zürich gesprochen.
Zurück in die Heimat
Vor 23 Jahren zog Sabine Poyé Morel in die Schweiz. Die Stelle beim Orchester war frei, das Vorspiel gewann sie – so einfach war das, meint sie lachend. Wie es denn ging, die Sprache zu erlernen, plus den Dialekt, wollen wir wissen. Sie konnte etwas Deutsch, es war die erste Fremdsprache in der Schule, dadurch fühlte sie sich schnell wohl und sicher. In ihrer Schule in Tours gab es regelmässig den Schüleraustausch mit Rosenheim. Vor Jahren hatte das Tonhalle-Orchester Zürich dort einmal ein Gastspiel absolviert. Ihre Freundin kam natürlich auch. Wie schade, dass wir nicht öfter in München seien. Aber sie wisse, dass dies der Saalsituation in München geschuldet sei.
Ihr Mann ist auch Franzose, er kommt aus Metz, da hatte sie ihre erste Stelle in einem Orchester. Dialekt zu verstehen, ist nicht immer ganz einfach, da es in der Schweiz ja so unterschiedliche Dialekte gäbe. Ihr Sohn hat damit kein Problem, weil er in Zürich aufgewachsen ist.
«In Zürich, da lebe, arbeite ich. Da ist mein Leben und es ist gut. Frankreich ist immer noch daheim. Aber ich denke, das ist ganz normal. Vielen Menschen geht es so, wenn sie ihre Heimat verlassen. Wenn ich etwas vermisse, neben der Familie und den Freunden, dann ist es die soziale Leichtigkeit der Franzosen.» Paris sei fantastisch, die Philharmonie ein grosser Wurf. Auch die Geschichte Frankreichs. Viele Franzosen seien sich nicht bewusst, wie grossartig das Land eigentlich sei. Angefangen von der Geschichte, die Revolution. Das Volk hat viel Kraft. Die Künstler, die die Nation hervorgebracht habe: alles wirklich faszinierend. Viele seien zu kritisch. Und natürlich haben nicht alle ein leichtes Leben. Und in Sachen Musik sei Debussy der Grösste. «Syrinx ist ein fantastisches Werk für eine Flötistin.»
Nochmals zurück zu Frankreich. Es ist gross, die Regionen sind so unterschiedlich und haben ihre eigenen Charakteristiken. «Die Franzosen streiken viel, das hat aber auch etwas Positives. Man engagiert sich gemeinsam. Nicht nur das Individuum zählt, es gibt viel Solidarität und das mag ich.» Paris ist das Zentrum – das hat sich über all die Jahrhunderte nicht geändert. Die Macht sitzt dort. Und das ist wiederum etwas, was Sabine an der Schweiz gefällt, das Mitspracherecht des Volkes. Ein Grund, warum sie unbedingt Schweizerin werden wollte.
Wir kommen noch auf unser Konzert in der Philharmonie zu sprechen. «Ah, das Konzert ist so speziell für mich. Dieses Mal waren 24 Freunde und Familienmitglieder da. Mein Vater ist der Reiseagent und organisiert alles. Nach dem Konzert gehen wir immer in die gleiche Pizzeria neben der Philharmonie und geniessen das Zusammensein. Und sie haben sich natürlich den 2. Dezember schon reserviert.» Denn da wird das Tonhalle-Orchester Zürich zurückkehren.
Donnerstag, 20. März – Frankfurt
Das Konzert in der Alten Oper Frankfurt ist vorbei, mit dabei war in ganz unterschiedlichen Funktionen auch die Familie Łosiewicz. Michaela Braun hat mit den dreien gesprochen.
Es bleibt in der Familie
Nein, kein Familienzimmer, jeder hat sein eigenes. Trotz Familie sei Privatsphäre, abschalten und auftanken auf Tournee wichtig, sagt Kasia Kitrasiewicz-Łosiewicz, Bratschistin im Orchester. Auf Tournee ist alles so eng aufeinander, da muss man irgendwann mal die Türe hinter sich schliessen und allein sein können. Und nein, viel Zeit haben sie noch nicht miteinander verbracht. Der Sohn, Philippe Łosiewicz, der sechs Monate bei uns in der Orchestertechnik arbeitet, bevor er im Herbst sein Medizinstudium beginnen möchte, hat auch einen anderen Zeitplan als Vater und Mutter. Wenn die Eltern in den Saal kommen, hat er seine Arbeit quasi schon erledigt. Und wenn sie fertig sind, räumt er mit den Kollegen die Bühne ab und verstaut alles in die Lastwagen. Also nein, nix Familienausflug. In Paris gab es vor dem Konzert die einzige Möglichkeit, auf Tournee gemeinsam ein Chateaubriand zu essen, meint Kamil Łosiewicz, Kontrabassist im Orchester. Aber Zeit, den Sohn zu umarmen, fände sie immer, meint Kasia. Peinlich sei ihm das nicht, sagt Philippe: «Wir sind Familie und wir können sehr gut miteinander.»
Ob er die Eltern als Eltern auf der Bühne sehe oder als Musiker*innen, frage ich ihn. «Ich mache meinen Job, und den mach ich für alle gleich gut. Ich muss professionell sein. Mama fragt höchstens, ob ich genügend gegessen habe. Alles in allem ist es für mich eine grossartige Erfahrung, und wenn die Eltern mich als Erwachsenen wahrnehmen können, der seriös seiner Arbeit nachgeht, dann tut mir das gut.»
Die drei bisherigen Bühnen der Tournee haben sie verschieden wahrgenommen. Kasia sagt zur Hamburger Elbphilharmonie, dass sie sich «nackt» gefühlt habe, Kamil fand es einfach nur «der Hammer», und Philippe gefiel die Weinberg-Struktur des Konzertsaals. In Paris sei es für sie ein sehr homogenes Spiel gewesen, so Kasia, für Kamil war es hinter der Bühne zu düster, zu schwarz. Und Philippe fand es «heimelig». Die Alte Oper in Frankfurt schliesslich fand Kasia «schreiend», Kamil «laut», und Philippe kann es nicht wirklich einordnen; eine zu enge Bühnenordnung sei es auf jeden Fall gewesen, «man kam kaum durch».
Zu den Werken dagegen ertönt ein Unisomo. Vor allem Schumanns Sinfonie Nr. 3 und die Brahms-Zugabe haben es ihnen angetan. «Paavo dirigiert sie jedes Mal anders, man muss auf der Hut sein, das liebe ich», sagt Kasia. «Besonders in Frankfurt war es toll: riskant und voll konzentriert.»
Freitag, 21. März – Köln
Wenn das Orchester in Köln auftritt, ist das für die Bratschistin und Blog-Autorin Ursula Sarnthein ein Heimspiel: Eines, das sie eine besondere Zugabe erinnert, bei der sie nun selbst mitgespielt hat.
Meine rheinische Heimat
Aufgewachsen in einem Dorf bei Köln, war Köln für mich als Kind der Inbegriff der Grossstadt. Ein Ausflug nach Köln zum Zoo – und U-Bahn-Fahren – war das Grösste für mich und meine Geschwister. Fünf Jahre meines Studiums verbrachte ich an der Kölner Musikhochschule, in einer kleinen Wohnung fünf Minuten vom Dom entfernt, mit der schönen kölschen Adresse «Klingelpütz 2» , was im Kölschen Dialekt Gefängnis bedeutet.
Unser Hotel liegt zwischen Bahnhof und Musikhochschule, der ich natürlich einen Besuch abstattete. Schon ein merkwürdiges Gefühl, wieder dort zu sein – sie wirkt völlig unverändert. Was fehlt, ist die «Übeschlange». Dort musste man sich damals alle zwei Stunden anstellen, um wieder einen Raum für zwei Stunden Üben zu ergattern. Die Übezellen waren legendär – alt, heruntergekommen, mit Flügeln, denen manchmal Tasten fehlten, und mit unzähligen dummen, mit Bleistift an die Wand geschrieben Sprüchen, eine willkommene Ablenkung vom Üben …
Der Kreis schliesst sich
Als die Philharmonie eröffnet wurde, war ich 14 Jahre alt, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Einmal dort zu spielen, war 1986 noch ein unerreichbarer Traum für mich. Während meiner Studienzeit arbeitete ich im Pausenservice in der Philharmonie und schenkte Sekt aus. Eine besondere Erinnerung: Während wir in der obersten Pausenbar noch am Abtrocknen und Einräumen der Gläser war, spielte ein Orchester als Zugabe einen ungarischen Tanz von Brahms. Ich war total begeistert, schmiss das Handtuch weg und rannte schnell oben in den Saal, um zuzuhören. Gestern Abend sass ich nun tatsächlich auf der Bühne der Philharmonie und spielte selbst die Zugabe – der Kreis schliesst sich!
Traumwandlerisch
Unser Publikum gestern war ebenfalls begeistert, und wir sind nach dem fünften Konzert bei der traumwandlerischen Sicherheit angelangt, die einem extra Freude macht und einem auch die Freiheit gibt, musikalische Kurven schärfer zu nehmen. Víkingur Ólafsson tat es uns in Schumanns Klavierkonzert gleich.
Die «Rheinische» in Köln zu spielen, hat natürlich auch etwas Besonderes. Die majestätische Grösse des Doms, den Schumann ja nur als unvollendeten, aber gleichwohl beeindruckenden Torso kennengelernt hatte, wird besonders im 4. Satz beschrieben – wenn ich ihn höre und spiele, sehe ich immer den Säulenwald innen vor mir. Ich bin sicher, bei allen war das Bild des Doms stark, es ist schon sehr eindrücklich, wie dieses gigantische Bauwerk neben dem Bahnhof und über dem Rhein thront.
Sie altert gut
Meinen ersten Auftritt in der Kölner Philharmonie hatte ich in den 90er-Jahren mit dem Hochschul-Orchester, und schon damals mochte ich den Backstage-Bereich, der für mich – nach der Elbpihilharmonie – der beste ist, den ich kenne: Geräumig, praktisch angelegt, gemütlich mit Tischen in Nischen und einer kleinen Bar, hält man sich dort gerne auf, obwohl man viele Meter unter der Erde ist. Auch hier scheint mir alles unverändert, der Bau altert gut! Die Kölner Philharmonie ist ein moderner, zeltartiger Saal mit der Bühne in der Mitte. Ich mag die Akustik in diesen Sälen, in denen sich der Klang frei nach allen Seiten ausbreiten kann und nicht von Seitenwänden direkt auf die Bühne zurückgeworfen wird.
Pizza und leere Saiten
Am Samstag geht es nun weiter nach Essen, und auch hier habe ich besondere Erinnerungen: Mit etwas 15 Jahren bekam ich die Möglichkeit, einem Geigenprofessor in Köln vorzuspielen, der mich zwar nicht selbst aufnahm, aber mir eine Lehrerin vermittelte, zu der ich fortan jede Woche mit dem Zug gondelte – von Düren nach Essen, anderthalb Stunden mit Umstieg in Köln. Die Strecke Köln-Essen fuhr ich dann immer mit einem Stück Pizza vom Kölner Bahnhof in der Hand … Auf den Fahrten hatte ich immer viel Zeit zu lesen. Zweimal war das Buch so spannend, dass ich beim Ausstieg die Geige im Zug vergass – zu meinem grossen Glück bekam ich sie beide Male schnell zurück.
Morgen in Essen freue ich mich sehr auf das Treffen mit meiner Lehrerin von damals: Claudia-Susanne Hohorst, Stimmführerin der 2. Geigen bei den Essener Philharmonikern, baute mir damals mit einer unvergleichlichen Mischung aus Humor und Strenge meine Geigentechnik so solide auf, dass ich heute noch davon profitiere. In der allerersten Unterrichtsstunde bei ihr fragte sie ganz freundlich, ob ich denn in einem Orchester mitspiele, und nachdem ich begeistert alles aufgezählt hatte, sagte sie nur ganz trocken: «Lass das mal bleiben. Jetzt spielen wir mindestens vier Wochen leere Saiten.»
Ich habe damals erstmal leer geschluckt, aber es hat mir nicht geschadet. Bei der Vorbereitung auf mein Probespiel in der Tonhalle war es dann auch sie, bei der ich mir den letzten Schliff holte.
Die Essener Philharmonie gab es damals noch nicht, aber ich freue mich sehr darauf, wieder einmal hier zu spielen!
Samstag, 22. März 2025 – Essen
Am Samstag steht das letzte Konzert in der Philharmonie Essen an. Für unseren Hornisten Tobias Huber ist es eine Rückkehr in seinen einstigen Stammsaal. Michaela Braun hat mit ihm gesprochen.
Eine Art Wahlheimat
Essen steht wohl nicht an erster Stelle bei den Tourismus-Destinationen. Aber die Stadt mitten im Ruhrgebiet ist schon lange ein Geheimtipp für Kultur- und Kunst-Touristen. Im Einzugsgebiet zwischen Duisburg und Dortmund leben gut 5 Mio. Menschen mit einem Kulturangebot, das sich sehen lassen darf.
So empfindet das auch unser Hornist Tobias Huber. Er kam 2011 mit gemischten Gefühlen nach Essen ins Orchester. Er wusste, dass er nicht nach Paris oder Berlin ging, als er seine erste Stelle nach der Akademie beim Bayrischen Rundfunk und dem Zeitvertrag bei den Münchner Philharmonikern antrat. Essen belehrte ihn eines Besseren. Nicht nur, dass er fantastische Musik-Kolleg*innen hatte, auch die Stadt mit ihrem riesigen Angebot und viel Grün begeisterte den Hobbysportler sehr. Wer hätte gedacht, dass die Stadt, die jahrzehntelang von Kohle und Stahl geprägt war, von der EU-Umweltkommission 2017 mit dem Titel «Grüne Hauptstadt Europas» ausgezeichnet würde? Das urbane Lebensgefühl sagte ihm sehr zu. Er fand Essen mit seinen 600'000 Einwohnern entspannt, die Menschen offen und direkt. Aus Schweizer Sicht «sehr erfrischend».
Er habe viel Spass gehabt. Der Saal der Philharmonie mit dem Theater und der (übrigens von Alvar Aalto gebauten) Oper in der Nachbarschaft sei einzigartig. «Ich habe viel Oper gespielt, im ersten Jahr den ‹Ring› von Wagner, und insgesamt eine geballte Ladung an neuem Repertoire in kürzester Zeit erlernen müssen. Beide Spielstätten zu bespielen, das war cool.»
Zehn Tage vor dem ersten Corona-Lockdown trat er seine Stelle bei uns in Zürich an. Noch heute ist er ein bis zwei Mal pro Jahr ein paar Tage in Essen – viele gute Freunde, ein «Göttibueb» und seine Wohnung, die untervermietet ist, ziehen ihn immer wieder zurück. Entsprechend freut er sich riesig, wieder einmal im Saal hier zu spielen: «Viele Freunde werden kommen und es wird sicher ein bisschen emotional werden.»
Sonntag, 23. März – Abschluss
Die Tournee ist zu Ende. Für unseren Hornisten Charly Fässler ist das ein besonderer Moment: Er wird nach 34 Jahren im Orchester pensioniert. Michaela Braun hat mit ihm gesprochen.
Doppelter Abschluss von Tournee und Karriere
Fast 2500 Konzerte hat Charly Fässler in seinen 34 Jahren beim Tonhalle-Orchester Zürich gespielt. Gestern Abend in Essen war es sein letztes. Es sei ein Abschied in Raten gewesen, sagt er, in Zürich mit Standing Ovations (sehr berührend) und nun auf Tournee. Und das sei bestens so. Seine Frau war in Hamburg auch noch mit dabei, das tat ihnen beiden sehr gut.
Viele Erlebnisse ziehen vor seinen Augen vorbei. Und weil alles «einfach so grossartig» war, ist es schwierig, ein Highlight rauszupicken: Er habe all die Jahre gerne alles für die Musik gegeben. Die Beethoven-, Strauss- und Mahler-Zyklen mit David Zinman waren besonders, auch die ersten Tourneen nach Asien. Sieben Chefdirigenten hat er erlebt. Bei Paavo Järvi schwappte dessen Leidenschaft auch auf ihn nochmals ganz speziell über. «Paavo hat die Musik im Blut, es ist nicht etwas Gelerntes, er hat die Gene dafür und das merken wir bei allen Proben und Konzerten. Das war eine unglaubliche Bereicherung am Ende meiner Karriere.»
Generell hatte Charly Fässler einen fantastischen Berufsweg. Zu Beginn, da spielte er schon Trompete, kam der Dirigent der Kadettenmusik Zug auf ihn und seinen Kollegen zu und meinte, dass sie doch Horn lernen sollten. Er brauche zwei Hornisten und besorge ihnen beiden einen Lehrer aus dem Opernhaus in Zürich. «Ich habe also den Traum dieses Dirigenten umgesetzt, daraus ergab sich dann mein Traum. Schon früh spielte ich Kammermusik in Laienorchestern, Horn wurde immer gebraucht. Am Konsi in Zürich war mir dann sehr schnell klar, dass ich im Tonhalle-Orchester Zürich spielen möchte. Während dieser Zeit setzte ich ein Jahr aus und war Student beim Solo-Hornisten der Covent Garden Opera. Ab 1984 war ich als Zuzüger tätig. Alle waren so nett – eine solche Umgebung wollte ich haben, da wollte ich Musik machen.»
Und er wurde nicht enttäuscht. All die Jahre fühlte er sich wohl im Orchester, speziell aber in der Horngruppe. Eine gute Teamarbeit und ein gutes Gefühl im täglichen Sein auf der Bühne haben ihn immer begleitet. Dennoch ist sein Abschied nun nicht von allzu grosser Wehmut begleitet. «Es gibt genug zu tun in meinem Leben. Ich kann meine Frau daheim nun besser unterstützen, was durch die Abend- und Wochenendeinsätze nicht immer möglich war, da kann ich ihr nun etwas zurückgeben. Ich werde viel in der Natur sein, Sport machen – und ich muss nicht mehr täglich üben!» Er lacht dabei, dreht sich um und geht seines Weges.
Das Fazit
Und wie ist nun die Bilanz unserer Tournee? Wie haben in fünf Städten sechs Konzerte gespielt und in (fast) ausverkauften Hallen über 11'000 Besucher*innen begeistern können. «Publikum, Veranstalter und Medienvertreter waren gleichermassen begeistert und konnten sich von der Flexibilität, Agilität und der Klangschönheit unseres Orchesters überzeugen», so Intendantin Ilona Schmiel. «Im internationalen Vergleich treten wir dank unserer Energie und Spitzenqualität unter Paavo Järvi und mit aussergewöhnlichen Solisten selbstbewusst auf.»
Und es geht weiter: Die Planung für die Gastspiele Ende Sommer sowie den Start unserer Residenz in Baden-Baden und die anschliessende Tour nach Wien, Köln und Paris laufen bereits auf Hochtouren.
Tournee-Partner: Merbag