Bananen und Babysitter
Klassik-Stars sind teilweise durchaus anspruchsvoll. Aber meist mit guten Gründen.
Sie verlangen sechs laubreiche Bodenpflanzen und ein Arrangement mit blassrosa Casablanca-Lilien in ihrer Garderobe, 20 internationale Telefonleitungen oder keinerlei synthetische Fasern in der Kleidung der Leute, mit denen sie zu tun haben. Bei der Schale M&M’s müssen die braunen Exemplare entfernt werden, der tiefengereinigte Teppich soll ein Tierfellmuster haben, und für die frisch herzustellende Guacamole darf nur eine bestimmte Sorte Avocados verwendet werden: So ungefähr stellt man sich Starallüren vor. Aber ist das nun Dichtung oder Wahrheit?
Die Antwort lautet: Es kommt auf die Branche an. Die erwähnten Forderungen wurden alle tatsächlich gestellt – von Pop-Grössen. Fragt man im Künstlerischen Betriebsbüro der Tonhalle-Gesellschaft Zürich nach, hört man dagegen nichts Vergleichbares. Natürlich haben die Stars (und nicht nur sie) auch hier oft spezifische Wünsche, die Agenturen stellen sie den Konzerthäusern in sogenannten Ridern zu. Besonders beliebt sind Bananen für den schnellen Energie-Kick, nur Paavo Järvi bevorzugt Blaubeeren; Nussmischungen, bestimmte Teesorten, Pasta (mit Fleisch!) oder Magnesium-Pulver werden ebenfalls gelegentlich bestellt. Die einen wollen ins Gym, die anderen brauchen einen Arzt, auch eine Babysitter-Liste war schon nützlich.
Manche wünschen vom Hotel abgeholt zu werden, weil sie nicht mehr gut zu Fuss sind oder von einem Stalker bedrängt werden. Ein Pianist, der zu kalten Fingern neigte, liess die Garderobe auf 28 Grad vorheizen (die Agentin sprach jeweils von Sahara-Temperaturen). Und einmal bat ein Dirigent um einen speziellen 10-Jahres- Kalender, der nur in der Schweiz erhältlich ist. Aber so richtig exzentrisch scheint sich niemand zu benehmen.
Das hat vor allem drei Gründe. Zum einen sind in der Klassik anders als in der Pop-Szene selbst die grössten Namen zumindest in organisatorischer Hinsicht nicht unersetzlich. Während eine Madonna einen Veranstalter in den Ruin treiben kann, wenn sie aus Empörung über die nur 19 internationalen Telefonleitungen in ihrer Garderobe gleich wieder abreist, findet ein Sinfoniekonzert selbst dann statt, wenn die Pianistin X oder der Dirigent Y ausfällt. In der Regel sogar mit demselben Programm.
Zum Zweiten sind nicht nur die Veranstalter, sondern auch die Künstler*innen wenigstens in renommierten Häusern meist an langfristigen Zusammenarbeiten interessiert. Da empfiehlt es sich eher nicht, die Leute mit divenhaften Ansprüchen zu schikanieren. Das Verwüsten von Garderoben gehört in der Klassik-Branche ebenfalls nicht zum guten, also schlechten Ton. Ausserdem könnte es – weil backstage jeder ein Handy mit Kamera und Social-Media-Zugang in der Hosentasche herumträgt – der weiteren Karriere nachhaltig schaden.
Zum Dritten schliesslich haben sich die Zeiten geändert. Ein Dirigent, dessen Koffer verloren geht, ist zwar unter Umständen nach wie vor darauf angewiesen, dass ihm jemand Ersatzkleidung besorgt. Aber er wird sich kaum noch trauen, Unterwäsche mit lustigen Sujets zu bestellen (was noch vor einigen Jahren bei einem anderen Schweizer Orchester vorgekommen ist). Es ist auch kein Pianist mehr unterwegs, der sich die Schuhe binden lässt. Und wenn eine berühmte Solistin morgens um drei Uhr per SMS nachfragt, wie sie denn im Konzert gewesen sei, hat das vermutlich vor allem damit zu tun, dass vielen Künstler*innen auf Tournee ein geregelter Tagesablauf abhandenkommt.
Anders gesagt: Für die Fans von wilden Geschichten ist der Klassikbetrieb heute zumindest in den grossen Häusern zweifellos weniger prickelnd als zu Zeiten von Callas oder Toscanini. Für alle, die in einem Künstlerischen Betriebsbüro arbeiten, dürften sie dagegen angenehmer geworden sein. Was sie an divenhaftem Verhalten einstecken müssen, findet sich meist nur noch im Feinstofflichen: im Tonfall, der ein bisschen gar barsch oder flirty ist, oder in der Selbstverständlichkeit, mit der jemand davon ausgeht, dass der Kaffee trotz Kaffeemaschine in der Garderobe extra serviert wird.
Weit häufiger ist inzwischen das Umgekehrte: Dass ein besonderer Service auch besonders geschätzt wird. So war es einst bei der Geigerin Vilde Frang, deren sonnengelbes Konzertkleid dringend eine schnelle Reinigung benötigte – was an einem Samstag nicht ganz leicht zu organisieren war. Es klappte trotzdem, und der dafür verantwortliche Kollege hat ihr Dankes-WhatsApp immer noch auf seinem Handy: «Das Konzert werde ich dir widmen!»
