Paavo Järvis Tasche

Hauptsache gross

Partituren haben oft ungewöhnliche Formate. Das fällt auch den Zollbehörden auf.

Susanne Kübler

Reisen? Paavo Järvi verdreht die Augen, wenn man ihn darauf anspricht: «Jedes Mal, wenn ich durch die Gepäckkontrolle gehe, schwöre ich mir: Das ist das letzte Mal. Ich werde das Reisen aufgeben. Nie wieder.» Das hat nicht nur damit zu tun, dass er als Dirigent, der auf drei Kontinenten gefragt ist, deutlich häufiger an Flughäfen anzutreffen ist als die durchschnittliche Bevölkerung. Sondern er gehört offenbar auch zu jenen, die von den Sicherheitsbehörden gerne für eine detaillierte Überprüfung aus der Reihe geholt werden. «Sie sagen dann: Wir suchen Sprengstoff. Sie haben noch nie welchen gefunden, aber sie suchen immer weiter.» Die grosse Frage bleibe: «Warum ich?»

Eigentlich, so würde man meinen, müsste er als Dirigent auf Reisen weniger Probleme haben als andere Musiker*innen. Ein Violoncello benötigt einen eigenen Sitzplatz, beim Zoll reicht ein winziges Stücklein Elfenbein für die Beschlagnahmung eines historischen Geigenbogens. Paavo Järvis Tasche Und wer ein Instrument nicht rechtzeitig als Handgepäck anmeldet, weil der Frachtraum kein guter Ort für wertvolle, temperaturempfindliche und fragile Gegenstände ist, stösst unter Umständen auf taube Ohren: So geschah es unserem letztjährigen Creative Chair Bryce Dessner, dessen E-Gitarre als Frachtgut eingecheckt werden musste und beim Umsteigen in Barcelona prompt liegen blieb. Er spielte dann auf einem Ersatzinstrument.

Aber zurück zur grossen Frage: Warum haben es die Sicherheitsbehörden auf Paavo Järvi abgesehen? Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass er als Dirigent mit ungewöhnlichen Gepäckstücken unterwegs ist – die zudem, anders als ein Violinkoffer, nicht gleich zu identifizieren sind. Seine Tasche ist schwerer als andere, «denn Partituren wiegen mehr als Backsteine». Dazu halten sich Noten nicht an Standardformate: Gross besetzte Werke müssen nun mal auf grosse Seiten gedruckt werden, wenn der Dirigent ohne Lupe auskommen will.

Für Paavo Järvi war die Lösung des Problems lange eine Sporttasche. Neuerdings ist er nun mit einer massgeschneiderten Reise-Partiturentasche aus Hirschleder unterwegs, Marke Cervo Volante – mit Platz für die Noten, Innentaschen für Dirigierstäbe, iPad und Kopfhörer sowie Stauraum für ein Ersatzhemd. Wenn es sein muss, könnte er damit für ein, zwei Tage auskommen: Auch dies ein wichtiges Kriterium, denn je mehr man reist, desto öfter macht man Bryce Dessners Erfahrungen.

Zeitgenössische Partituren, die oft besonders gross sind, haben übrigens selbst in der neuen Tasche nicht immer Platz. Die kommen dann halt trotzdem in den Koffer – im besten Fall als musikalischer Sprengstoff, für den sich die Sicherheitsbehörden kein bisschen interessieren.

veröffentlicht: 19.12.2024

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