Abbildung: © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
Filmsinfonik: Nosferatu

Neue Klänge für den unheimlichsten aller Untoten

Rund 100 Filmmusiken gibt es zu Friedrich Wilhelm Murnaus Kultfilm «Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens». Die neueste stammt vom Horror- Spezialisten Christopher Young und wird in der Tonhalle Zürich uraufgeführt.

Thomas Binotto

Vampire sind Kinder der Nacht – genauso wie das Kino: Beide werden erst durch die Dunkelheit zum Leben erweckt. Es ist deshalb ein sinniger Zufall, dass Bram Stoker seinen Briefroman «Dracula» 1897 veröffentlichte. Damals war das Kino gerade einmal zwei Jahre alt.

Die Liste von Vampirfilmen, die bis heute entstanden sind, ist unüberschaubar lang. Jedes Werk auf der Liste hat jedoch damit zu kämpfen, dass das Genre mit einem schier unüberbietbaren Meisterwerk begründet wurde: Friedrich Wilhelm Murnaus «Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens» (1922) war die erste Verfilmung des Romans von Stoker. Allerdings hatte die Produktionsfirma Prana-Film die Rechte daran nicht gekauft. Sie hoffte damit durchzukommen, dass Drehbuchautor Henrik Galeen da und dort etwas an der Handlung, den Orten und den Namen schraubte. Dracula trat als Graf Orlok auf, aus London wurde Wisborg und den Vampirjäger Van Helsing strich Galeen gleich ganz.

Für Murnau war «Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens» der Durchbruch zu einer grossen Karriere. Und bis heute demonstriert das Werk, wie sehr der Stummfilm für das Horror-Genre prädestiniert ist, weil das Fehlen von Ton, geschickt genutzt, die hypnotische Wirkung der Bilder massiv steigert. Murnau sorgt nicht mit schrillen Bildern und blutigen Szenen für Horror. Er lässt stattdessen die Schatten unheilvoll wandern, ein Trauerzug mit unzähligen Särgen wankt gespenstisch durch die Strassen, und der Vampir schnellt stocksteif aus dem Sarg. Max Schreck alias Graf Orlok alias Nosferatu, der in dieser Rolle sein Filmdebüt gab, ist bis heute der unheimlichste Blutsauger der Filmgeschichte.

Das Kino war nie stumm

Dass wir Murnaus Meisterwerk in die Kategorie «Stummfilm» stecken, ist jedoch Teil eines der hartnäckigsten Missverständnisse der Filmgeschichte. Stumm war das Kino nämlich nie. Von Anfang an war Musik ein fester Bestandteil. Sei es, weil im Vorstadtkino ein Pianist mehr oder weniger passende Versatzstücke der Klassik spielte. Sei es, weil im Filmpalast eine imposante Kino-Orgel ertönte. Sei es – und das war die Regel –, weil das Kino für die musikalische Begleitung der tonlosen Filmstreifen Musiker anstellte. Das ging von kammermusikalischen Formationen bis hin zu ausgewachsenen Sinfonieorchestern. Als 1929 der Tonfilm eingeführt wurde, verloren allein in Deutschland 13’000 Musiker ihre Arbeit.

Die Uraufführung von «Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens» war als gesellschaftliches Ereignis geplant. Am 4. März 1922 im Marmorsaal des Zoologischen Gartens in Berlin wurde diese Schreckens-Sinfonie zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Am 07. März stand dazu in der Vossischen Zeitung: «Das ist Film: gespenstische Kutschen huschen durch Waldesschluchten, Schreckgespenster jagen auf Menschen, Pest bricht aus, Schiffe fahren unbemannt in Häfen, Särge mit Erde und Mäusen flitzen aus Kellern auf Wagen, in Schiffe, in zerfallene Hauslöcher.»

Filmmusik-Experte Frank Strobel wird «Nosferatu» dirigieren. (Foto: Gaëtan Bally)

Vom Ur-Score bis zur Uraufführung

Einen wesentlichen Anteil an dieser gespenstischen Stimmung hatte zweifellos Hans Erdmanns Ur-Score, der danach jahrzehntelang nur noch in Auszügen bekannt war. Er wurde erst 2007 von Berndt Heller für die restaurierte Fassung des Films rekonstruiert. Weil Erdmanns Soundtrack so lange nicht zur Verfügung stand, wurde kein Film so oft vertont wie «Nosferatu». Nimmt man alle improvisierten Live-Versionen dazu, dürfte es weit über hundert musikalische Interpretationen geben. Kaum eine Stilrichtung und Besetzung, die hier nicht auftaucht. Selbst Hellers Rekonstruktion der Originalmusik ist nicht unumstritten. Auch hier gibt es mehrere Versionen.

Damit steht der gefragte amerikanische Filmmusik-Komponist Christopher Young mit «seinem» Nosferatu, der unter der Leitung von Frank Strobel in der Tonhalle Zürich uraufgeführt wird, in einer langen Tradition. 1998 beispielsweise wagte sich James Bernard an das Werk, einer der Hauskomponisten der britischen Hammer- Studios. Für diese hatte er 1958 bereits «Dracula» mit Christopher Lee vertont.

Eine der gewagtesten und überraschendsten Vertonungen verdanken wir dem Schweizer Komponisten und Dirigenten Armin Brunner; sie wurde 1988 bei den Internationalen Musikfestwochen in Luzern erstmals gespielt. Brunner bediente sich ausschliesslich im Werk Johann Sebastian Bachs, bearbeitete das Material, dekonstruierte und kompilierte es virtuos und führte es schliesslich zu einer genialen Symbiose mit Murnaus Bildern. Sowohl Bachs gefühlvoller Pietismus als auch seine mathematische Manie finden in Murnaus melancholischem Passionsspiel ihre Entsprechung.

Langjährige Rechtsstreitigkeiten

Murnau wurde also mit «Nosferatu» zum Star und der Film zum Klassiker. Die Firma Prana-Film dagegen wurde damit nicht glücklich. Es war nicht bloss ihr erster, sondern zugleich auch ihr letzter Film. Die Firma ging pleite, weil der Film ein Misserfolg war und sich die beiden Studiochefs allzu grosszügig am Firmenkapital bedient hatten. Bereits im August 1922 wurde deshalb ihr einziger Film gepfändet. Und es kam noch schlimmer: Henrik Galeen konnte mit all seinen Änderungen am Stoff letztlich nicht verhindern, dass Florence Balcombe, die Witwe von Bram Stoker, die Urheberrechte einklagte.

1925 ging der Prozess zu Ende, das Urteil war buchstäblich vernichtend: Das Original und alle Kopien des Films mussten zerstört werden. Allerdings existierten damals bereits so viele Kopien des Films, dass der Richterspruch nicht mehr vollzogen werden konnte, obwohl die Rechtsstreitigkeiten bei jedem Auftauchen des Films von neuem losgingen.

Rechtsstreitigkeiten wird es nach der Zürcher Aufführung voraussichtlich keine geben. Allerdings kann jetzt schon prophezeit werden, dass Christopher Youngs Vertonung – so mitreissend sie hoffentlich ist – nicht die letzte bleiben wird. «Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens» ist ein Nachtmahr, mit dem wir nie ganz fertig werden. So ist das …mit den Vampiren … und mit dem Kino.

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Christopher Young

Schon als Jugendlicher liebte Christopher Young Horrorfilme – inzwischen hat er für Dutzende von ihnen Soundtracks komponiert. «Hellraiser» oder «The Grudge» wären weit weniger beklemmend ohne seine Klänge, auch für «Spider- Man 3» fand er böse Töne. Nun hat er einen neuen Soundtrack für «Nosferatu» geschrieben: direkt, düster, dramatisch.

Februar 2023
Sa 25. Feb
18.30 Uhr

Filmsinfonik – «Nosferatu»

Tonhalle-Orchester Zürich, Frank Strobel Leitung, Christopher Young Komposition "Nosferatu – Eine Sinfonie des Grauens" (D 1922)
Fr 24. Feb
19.30 Uhr

Filmsinfonik – «Nosferatu»

Tonhalle-Orchester Zürich, Frank Strobel Leitung, Christopher Young Komposition "Nosferatu – Eine Sinfonie des Grauens" (D 1922)
veröffentlicht: 13.02.2023