Die Sängerin als Dirigentin
Die Französin Nathalie Stutzmann sang auf vielen grossen Bühnen – nun dirigiert sie erstmals das Tonhalle-Orchester Zürich.
Im Januar 2024 wurde die Französin Nathalie Stutzmann bei den Oper! Awards als «Beste Dirigentin des Jahres» ausgezeichnet. Grund dafür war ihr «Tannhäuser» bei den Bayreuther Festspielen, eine Aufführung, nach der die Medien unisono von der perfekten Balance zwischen dem Orchester und den Stimmen schwärmten. Erstaunlich ist das nicht. Nathalie Stutzmann weiss genau, was Sänger*innen brauchen – schliesslich war sie selbst eine.
Beziehungsweise: Sie ist es immer noch. Zwar tritt sie nicht mehr auf, aber wenn sie in Orchesterproben Phrasen vorsingt, wird rasch klar, dass ihre Alt-Stimme nichts von ihrem Glanz verloren hat. In Interviews betont sie gern, dass sie nicht deshalb zur Dirigentin wurde, weil ihre vokalen Kräfte nachliessen. Sondern weil sie das schon immer wollte.
Als Tochter eines Sänger-Paars war sie musikalisch schon früh auf ganz unterschiedlichen Gleisen unterwegs. Sie sang, spielte Fagott, Klavier, Cello und Viola, studierte auch Dirigieren. Aber eine Karriere als Dirigentin schien damals, in den frühen 1980er-Jahren, noch keine realistische Perspektive zu sein. Also setzte sie auf ihre Stimme – eine markante, warme, ungewöhnlich dunkle Stimme, die rasch auffiel. Nathalie Stutzmann war bald weiträumig auf verschiedenen grossen Bühnen unterwegs, ihr Repertoire reichte von Händel über Wagner bis in die Gegenwart.
Aber der Traum vom Dirigieren blieb. Sie verwirklichte ihn 2009, indem sie das Ensemble Orfeo 55 gründete, das sie sowohl als Dirigentin als auch als Sängerin prägte. Und sie fand Unterstützung bei Pultstars, die sie als Sängerin schätzen gelernt hatten: beim kürzlich verstorbenen Seiji Ozawa etwa oder bei Simon Rattle, der sie als «vollständige Musikerin» rühmte.
Inzwischen ist sie bei einer ganzen Reihe von grossen Orchestern angekommen: in Philadelphia und London, in Hamburg und Bamberg. Den Job als Chefdirigentin im norwegischen Kristiansund hat sie abgegeben, dafür ist sie jetzt Musikdirektorin in Atlanta. Und nun debütiert sie also beim Tonhalle-Orchester Zürich mit einem Programm, das man durchaus als Summe ihrer Erfahrungen hören kann: In Liedern von Henri Duparc wird sich die Sopranistin Diana Damrau auf ihr vokales Verständnis verlassen können. Tschaikowskys Sinfonie Nr. 5 verrät ihr Flair für spätromantische Klänge. Und dazu gibt es die Ouvertüre zu Wagners «Tannhäuser», der ihr in Bayreuth so viel Glück gebracht hat.