
Geigengeschichten – Teil 3
Langjährige Beziehungen, ein schneller Entschluss – und zum Abschluss unserer Serie ein Happyend.
Welche Violinen werden in unserem Orchester gespielt? Wer hat sie gebaut, und was für einen Charakter haben sie? In unserem Geigen-Schwerpunkt erzählen zehn Musiker*innen von ihren Instrumenten: Hier sind es Kilian Schneider, Elizaveta Shnayder-Taub, Josef Gazsi und Julia Becker.
Die Fotos stammen von Paolo Dutto.
Kilian Schneider, Stimmführer 2. Violine
Pietro Giovanni Mantegazza, Mailand 1761
«Ich spiele dieses Instrument, seit ich 16 Jahre alt war. Ein Geigenliebhaber, den ich damals unterrichtete, lieh sie mir aus; als ich 1992 die Stelle im Orchester bekam, konnte ich sie kaufen. Es ist eine sehr gesunde Violine, ohne Schäden, es wurde auch nicht daran herumgebastelt. Bei den wenigen Soli, die man als Stimmführer der 2. Violinen hat, kann ich mit ihr adäquat zu einer Konzertmeister-Stradivari spielen. Aber ansonsten macht sie mir das Leben nicht immer leicht: Sie kann zwar eigentlich alles, aber man muss sie gelegentlich sehr bitten, damit sie tut, was sie soll. Zum Glück habe ich zwei wunderbare französische Bögen: einen Vigneron für die feinen, weichen Nuancen und einen Fétique, den ich verwende, wenn es richtig krachen soll. Sie vervollständigen das Instrument zu einem grossen Ganzen.»
Elizaveta Shnayder-Taub, 1. Violine
Jacques Fustier, Lyon 2008, Leihgabe
«Diese Geige hat eine besondere Geschichte. Ted Kremer, ein guter Freund und stiller Unterstützer junger Musikerinnen und Musiker, hat sie für mich bauen lassen; seit seinem Tod gehört sie seiner Familie. Er war ein Holocaust-Überlebender, eine christliche Familie hatte ihn als Kind gerettet. Aber seine Grossmutter wurde in Auschwitz ermordet, und er wollte, dass dieses Instrument ihren Namen bekommt: Anna Kaplanskaia-Poverennaia. So trägt die Geige sozusagen ihre Stimme weiter. Sie hat einen sehr warmen, reichen Klang. Jacques Fustier hat ihn noch einmal nachgebessert, nachdem ich sie ein Jahr gespielt hatte. Er öffnete sie vor meinen Augen ohne Vorwarnung mit einem Messer, das war ein Schock! Inzwischen lebt auch er nicht mehr. Er war ein unglaublich herzlicher und grosszügiger Mensch, dazu sehr bescheiden – obwohl eines seiner Instrumente einst im Blindtest gegen eine Stradivari gewonnen hat.»
Josef Gazsi, 2. Violine
Philip Ihle, London 2016
«Meine Lieblingsvioline ist eine Kopie der ‹Lord Wilton› von Guarneri del Gesù, die Yehudi Menuhin spielte. Philip Ihle hat sie gebaut, übrigens teilweise mit Holz aus meiner Heimat Rumänien, und sie ist phänomenal. Ich habe sie in die Hand genommen und nach drei Minuten gesagt: Ok, die kaufe ich. Ihle hat in Cremona gelernt, arbeitete dann ein paar Jahre in der Schweiz, heute ist er in London – und sehr gefragt. Der Wert des Instruments hat sich mindestens verdoppelt, seit ich es habe. Aber ich verkaufe es natürlich nicht! Ansonsten handle ich gern, schon als Kind habe ich mit Radiergummis angefangen. Heute habe ich eine Sammlung von rund vierzig Geigen, die ich alle bei verschiedenen Projekten spiele. Manchmal entdecke ich ein neues Instrument, dann verkaufe ich ein altes, um es mir leisten zu können. Ich habe ein ziemlich grosses Beziehungsnetz, da ergibt sich immer wieder etwas Spannendes.»
Julia Becker, 1. Konzertmeisterin
Stradivari, Cremona 1710, Leihgabe
«Die Stradivari, die ich seit 2019 spielen darf, war schon früher in diesem Orchester zu hören: Ein Mäzen hatte sie für den ehemaligen Konzertmeister Primož Novšak gekauft. Ich bin sehr glücklich mit diesem Instrument, dank dem ich ein schwieriges Kapitel abschliessen konnte. Denn ich hatte bereits vorher eine Stradivari als Leihgabe, über 20 Jahre; diese musste ich jedoch zurückgeben, weil testamentarisch verfügt war, dass sie jungen, aufstrebenden Talenten zur Verfügung gestellt werden soll. Das war heftig, denn man hat schon eine sehr persönliche Beziehung zu einem Instrument. Eine Zeit lang habe ich dann auf meiner eigenen Violine gespielt, einer Vincenzo Panormo, das hat auch gut funktioniert. Aber eine Stradivari ist eben doch etwas Besonderes.»