
Geigengeschichten – Teil 2
Violinen können ein Stück Geschichte sein, ein Stück Heimat – oder auch eine Art orange Katze.
Welche Violinen werden in unserem Orchester gespielt? Wer hat sie gebaut, und was für einen Charakter haben sie? In unserem Geigen-Schwerpunkt erzählen zehn Musiker*innen von ihren Instrumenten: Hier sind es Vanessa Szigeti, Alican Süner und Andreas Janke.
Die Fotos stammen von Paolo Dutto.
Vanessa Szigeti, Stimmführerin 2. Violine
Stefano Scarampella, Mantua 1900
«Meine Geige hat eine leicht orange Farbe, und das passt: Sie ist ein bisschen wie eine orange Katze, die ja als seltsam gelten. Sie reagiert extrem empfindlich auf Temperatur- und Feuchtigkeitswechsel, und sie hat eine etwas verdrehte Schnecke – warum auch immer. Aber sie klingt wunderbar, ich mag vor allem ihre fast bratschenhafte Tiefe. Bekommen habe ich sie, als ich die Aufnahmeprüfung in die Hochschule schaffte; davor hat mein Vater sie gespielt. Anfangs habe ich meine frühere Geige vermisst; es war, wie wenn man einen Twingo fährt und einen BMW erhält, aber man liebt halt den Twingo. Doch das hat sich rasch geändert. Als ich im Studium in meiner ersten Blattlese- Stunde den Kasten öffnete, rief der Lehrer: ‹Meine Geige!› Ich war irritiert – bis sich herausstellte, dass er das Instrument einst meinem Vater verkauft hatte.»
Alican Süner, 1. Violine
Gaetano Guadagnini, Turin 1820, Leihgabe / Nurgül Çomak, Istanbul 2022
«Ich spiele zwei Violinen, eine historische und eine neu gebaute. Beide sind mit Darmsaiten bespannt; das ist zwar heikler wegen der Stimmung, aber ich mag den Klang, und es funktioniert auch im grossen Orchester. Welches Instrument zum Einsatz kommt, entscheide ich oft kurzfristig: Manchmal probe ich mit dem einen und nehme fürs Konzert dann doch das andere. Sie sind sehr verschieden; die Guadagnini-Geige – die ich hier in der rechten Hand halte – ist muskulös, jene von Nurgül Çomak viel feiner. Auch mein Verhältnis zu ihnen ist unterschiedlich: Mit der einen habe ich ein Stück Geschichte in der Hand, mit der anderen ein Stück Heimat. Nurgül Çomak ist eine sehr sympathische junge Geigenbauerin in Istanbul, die erste Frau mit diesem Beruf in der Türkei. Es ist schön, die Person zu kennen, die ein Instrument geschaffen hat, man hat gleich einen viel persönlicheren Bezug dazu.»
Andreas Janke, 1. Konzertmeister
Carlo Bergonzi, Cremona 1733-1739, Leihgabe
«Was mir an dieser Geige besonders gefällt, ist ihr starker, dunkler, warmer Bass. Es ist eine Typfrage, was man mag – ich probiere bei einem Instrument immer als erstes die G-Saite aus, um zu schauen, was die tiefen Register hergeben. Hier wusste ich nach drei Tönen, dass es passt; Violinen sind ein bisschen wie Menschen, zu manchen zieht es einen sofort hin. Das hat nichts mit dem Namen zu tun, obwohl er hier bedeutend ist: Carlo Bergonzi gilt als der letzte Grossmeister der Cremoneser Schule. Es sind nur rund 50 Instrumente von ihm erhalten, auch deshalb ist er nicht so ein Mythos wie Stradivari, in dessen Werkstatt er zeitweise gearbeitet hat. Aber wenn ich gegenüber Geigenbauern erwähne, dass ich eine Bergonzi spiele, machen sie immer grosse Augen und wollen das Instrument sofort sehen.»