Ilona Schmiel (Foto: Gaëtan Bally)
Jubiläum

10 Jahre Ilona Schmiel

Fünf Stichworte für unsere Intendantin.

Veränderung

Das ist mein Lieblingsstichwort! Ich fing hier 2014/15 an, zusammen mit dem damals 28-jährigen Chefdirigenten Lionel Bringuier. Das war ein kompletter Wechsel gegenüber vorher, und es war klar, dass es – bei allem Guten, was wir vorfanden – in allen Bereichen einen Aufbruch brauchte. Wir wussten damals schon, dass die Tonhalle renoviert werden musste; es galt, eine Interimslösung ab der Saison 2017/18 zu organisieren. Und als feststand, dass Lionel Bringuier das Orchester nach vier Jahren verlassen würde, war es ein grosses Glück, dass wir Paavo Järvi als Music Director gewinnen konnten. Ich zitiere gern einen Musiker, der mir nach der ersten Tournee mit Paavo gesagt hat: «Jetzt bin ich in ein neues Orchester gekommen, ganz ohne weiteres Probespiel.»

Seither haben wir auch den Rückzug in die Tonhalle am See geschafft. Und selbst wenn zweifellos weitere Veränderungen anstehen, geht es jetzt auch um Kontinuität. Wir sind in der privilegierten Situation, bis Sommer 2029 planen zu können – so lange laufen die Verträge von Paavo Järvi und von mir. Die Institution hat sich stabilisiert, wir kennen uns, das Publikum und die Rahmenbedingungen, wir sind klar positioniert. Ich habe den Eindruck, dass jetzt alles möglich ist: Das wollen wir nutzen.

Entdeckungen

Zum Aufbruch beim Start vor zehn Jahren gehörte auch, dass wir vermehrt zeitgenössische Musik ins Programm setzen wollten. Deshalb haben wir den Creative Chair geschaffen, eine Position, auf die wir Komponist*innen einladen, die nicht nur ihre Werke präsentieren, sondern sich breiter einbringen – mit anderen Facetten ihrer Tätigkeiten, in Meisterklassen an der Zürcher Hochschule der Künste, im direkten Austausch mit dem Publikum. Esa-Pekka Salonen, der die Reihe eröffnete, prägte die erste Saison auch als Dirigent. Bryce Dessner, der in der vergangenen Saison hier war, stand unter anderem als E-Gitarrist auf der Bühne. Durch unsere Creative Chairs findet Zeitgenössisches nicht nur in einer Nische statt, sondern im Zentrum des Programms, als Selbstverständlichkeit. Und es freut mich besonders, wenn ein Werk, das wir hier uraufführen, den Weg ins Repertoire findet: Das gilt beispielsweise für «Glut» des Schweizer Komponisten Dieter Ammann, das an vielen weiteren Orten gespielt wurde.

Aber Entdeckungen gibt es natürlich nicht nur im Zeitgenössischen. Ich denke an das afghanische Women's Orchestra Zohra, das hier aufgetreten ist – und heute leider nicht mehr existiert. Und ich denke an unseren letztjährigen Fokus-Künstler Kian Soltani, der mit dem Ensemble Shiraz persische Musik aufgeführt hat: In dieser Richtung ist noch einiges möglich.

Highlight

Seit Kurzem hängt in meinem Büro ein grosses Foto von der Tonhalle Maag. Es war die grösste Herausforderung der letzten zehn Jahre, diese Interimsspielstätte zu planen und zu bauen, und gleichzeitig war das eines der schönsten Erlebnisse in meinem Leben. Wir hatten die perfekten Partner und die perfekten Architekten für unsere Idee: Da, wo es Luxus wird, hören wir auf. Wir konzentrierten uns auf das, was für die Musik und das Publikum nötig war. Und wir erlebten in der Tonhalle Maag vier Jahre, die uns trotz der Pandemie in die Zukunft geführt haben. Das Publikum hat sich verändert in der Zeit, und es ist ein neues dazugekommen, das uns nun auch in die Tonhalle am See gefolgt ist. Die Nähe zur ZHdK hat uns gut getan, auch der Kreis 5 hat uns gut getan – die Willkommenskultur dort, die Vitalität des Quartiers. Ich würde gern noch viel mehr davon hier an den See bringen.

Zürich

Als ich vor zehn Jahren nach Zürich kam, spürte ich den Hunger nach klassischer Musik weniger als in anderen Städten. Aber das ist völlig anders geworden, nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie. Sie war natürlich ein absoluter Tiefpunkt, hat aber doch etwas Gutes bewirkt: Man hat hier und überall auf der Welt plötzlich gemerkt, wie sehr einem Konzerte fehlen, wenn sie nicht mehr stattfinden können. Ich merke es nach wie vor an den Publikumsreaktionen, wie gross das Bedürfnis nach einer kollektiven musikalischen Erfahrung ist. Das macht die Konzerte intensiver und beglückender für alle. Auch sonst gehört Zürich für mich inzwischen längst zu einer der schönsten Städte der Welt – mit der Lage am See, der Dichte an kulturellen Ereignissen, der Architektur, der Lebensqualität ganz allgemein.

Öffnung

In den letzten zehn Jahren haben wir das Netz an Kooperationen kontinuierlich ausgebaut. So erhalten etwa das Jugend Sinfonieorchester Zürich, Superar Suisse oder die ZHdK nicht nur eine Plattform, sondern oft auch die Möglichkeit für eine direkte Zusammenarbeit mit unserem Orchester und mit Paavo Järvi. Zudem arbeiten wir zunehmend mit Museen und Galerien zusammen; unter dem Titel «classic meets art» ist eine neue Veranstaltungsreihe entstanden.

Und wir werden uns weiter öffnen, wo immer das möglich ist. Mein Traum wäre es, morgens um 8 Uhr das Haus aufzuschliessen und einen Workspace im Tonhalle-Foyer anzubieten – mit Einblick in unsere Arbeit. Das Konzert an sich ist nach wie vor ein starkes Format und die wichtigste Attraktion für uns. Aber darum herum muss man vieles in Bewegung bringen.

veröffentlicht: 18.09.2024

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