«Richard Gere küsst anders, wenn die Musik fehlt»
Bald findet der 10. Internationale Filmmusik-Wettbewerb statt. Sandra Studer wird ihn moderieren.
Der Internationale Filmmusik-Wettbewerb feiert sein 10-Jahre-Jubiläum. Was macht für dich den Reiz dieser Veranstaltung aus?
Im Zentrum steht sicher der Wettbewerb an sich. Ein Kurzfilm, drei Filmmusiken – da erlebt man auf kleinstem Raum, was verschiedene Kompositionen mit den Bildern machen, wie sie die Wirkung verändern. Im Kino ist einem oft gar nicht bewusst, wie wichtig die Musik ist. Aber ein Richard Gere küsst anders, wenn sie fehlt; und ein dunkles Zimmer mit einem blassen Mädchen drin wird erst dann gruselig, wenn der entsprechende Soundtrack dazukommt. Dass man die Filmmusiken in der Tonhalle live mit Orchester erlebt, verstärkt diesen Effekt noch.
Am Ende wird eine der Filmmusiken ausgezeichnet. Bist du jeweils einverstanden mit den Entscheiden der Jury?
Manchmal ja, manchmal nein. Es geht mir wie beim Eurovision Song Contest, ich setze oft auf die Falschen… Dann interessieren mich jeweils die Argumente der Jury. Ich staune immer, was diese Expertinnen und Experten alles hören!
Diesmal ist Rachel Portman die Jurypräsidentin – die erste Frau, die einen Oscar für Filmmusik gewonnen hat, 1997 für «Emma».
Ich bin sehr gespannt auf sie, gerade weil die Filmmusik immer noch eine ziemlich männlich geprägte Branche ist. Man sieht das auch bei diesem Wettbewerb; bisher hat erst einmal eine Komponistin gewonnen. Auch in der Schweizer Filmmusikszene, aus der wir jedes Jahr jemanden vorstellen, sind Frauen rar. Aber wenn ich höre, was an der Zürcher Hochschule der Künste derzeit passiert, ändert sich das gerade. Beim 20-Jahr-Jubiläum des Anlasses wird die Statistik wohl eine andere sein.
Du moderierst den Wettbewerb nun zum achten Mal: Wer von den Filmmusik-Grössen, die du erlebt hast, hat dich am meisten beeindruckt?
Als erster kommt mir Mychael Danna in den Sinn, der letztjährige Jurypräsident. Er ist eine Hollywoodlegende, da weiss man nie, was kommt: Ist er schwierig, zelebriert er sich als Star? Aber er war nicht nur sehr «down to earth», er brennt wirklich für die Musik – ganz egal, ob sie nun von Studierenden kommt oder von einem renommierten Namen. Und dann möchte ich Frank Strobel erwähnen, der die Abende jeweils dirigiert: Ohne ihn wäre der Filmmusikwettbewerb nicht das, was er ist. Wie er es schafft, das Orchester fliessen zu lassen und dennoch stets perfekt synchron zu den Bildern zu bleiben: Da habe ich grössten Respekt.
Nicht nur für den Dirigenten, sondern auch für Komponist*innen bietet Filmmusik ganz andere Herausforderungen als «normale» Sinfonik.
Ja. Einerseits müssen sie extrem kreativ sein; andererseits sind sie Handwerker*innen, die ihre Musik im Dienste eines Auftrags oft auf die Sekunde genau schreiben müssen. Viele von ihnen sind grossartig, aber berühmt sind nur ganz wenige: John Williams etwa, oder Hans Zimmer, der ja auch einmal hier war – leider in einem Jahr, in dem ich nicht moderieren konnte. Von den meisten anderen kennt man nicht einmal die Namen, die Branche ist total unterschätzt. Filmmusik ist viel besser, als man denkt!
«Der Wettbewerb funktioniert wie ein Schuhlöffel: als idealer Einstieg in die Welt der Filmmusik.»
Du liebst dieses Genre offenbar…
Ich bin tatsächlich sehr empfänglich für diese Art, wie soll ich sagen: kommerzieller produzierte Form von klassischer Musik. Wenn ich bei den Proben im Orchester sitzen kann, ist das ein Highlight für mich. Im Kino läuft die Musik ja einfach mit; hier in der Tonhalle merkt man, wie gut sie geschrieben ist.
Verändert das auch die Wahrnehmung im Kino?
Bei mir kommt es inzwischen tatsächlich vor, dass ich nach einem Kinobesuch sage – wow, diese Musik war gut; und zwar nicht nur bei der sinfonischen Filmmusik, die bei diesem Anlass im Zentrum steht, sondern auch bei anderen Stilen, bei jazzigen oder elektronischen Soundtracks. Das wäre mir früher nie passiert, und ich bin sicher, ich bin nicht die einzige, der das so geht. Da hat dieser Wettbewerb eine wichtige Funktion. Er ist ein Ohröffner und sensibilisiert das Publikum für eine unterschätzte Kunstform. Damit funktioniert er wie ein Schuhlöffel: als idealer Einstieg in die Welt der Filmmusik.
Neben dem Internationalen Filmmusikwettbewerb wird Sandra Studer demnächst auch das Galakonzert zur Verleihung des Europäischen Kulturpreises moderieren.