«Hier hängen wir das Tonhalle-Tor rein»
85 Jahre lang war das Tor zur alten Tonhalle verschollen. Nun steht es wieder in altem Glanz da – vor dem Club Baur au Lac, nur ein paar Meter entfernt vom Originalstandort.
Da stehen die beiden, angelehnt an ein Stück Historie der Tonhalle Zürich: Moritz Häberling, Kunstschmied, und Charles Roulet, Erbe des Hotels Baur au Lac sowie Gastgeber des gleichnamigen Clubs. Sie strahlen, mit gutem Grund: Unter dem Tor, das nun vor dem Club steht, ging einst das Publikum durch, wenn es Konzerte in der Tonhalle besuchte.
Häberling hat das Portal erst kurz vor Weihnachten mit seinem Traktor herangefahren und ist gerade dabei, ihm vor Ort den allerletzten Schliff zu geben. Die Geschichte dahinter geht aber weit zurück und ist so verwickelt wie die neo-barocken Ornamente, die sich am Tor entlangschlängeln, das nun gegenüber dem Haupteingang der Tonhalle steht, grad so, dass das Publikum es beim Heimweg vom Konzert frontal vor sich hat. Es stand einst vor dem prächtigen Trocadéro-Konzerthaus, das 1895 eingeweiht wurde und 1937 anlässlich der Landesausstellung dem Kongresshaus im Stil des Neuen Bauens gewichen ist. Nach dem Tor hat damals niemand gefragt, niemand scheint es vermisst zu haben.
Lange lag es rostig vor der Werkstatt von Häberling, der es auf Anfrage bei einer Villa am Zugerberg demontiert hatte, um es zu restaurieren. Er hörte nichts mehr von seinem damaligen Auftraggeber und stellte dann fest, dass dieser inzwischen bankrott war. Und so kam es, dass das Tor jahrzehntelang auf den Moment wartete, irgendwo sein neues Zuhause zu finden.
Spuren aus Eisen quer durch die Stadt
Häberling wohnt und arbeitet in Uerzlikon, hier ist er aufgewachsen, im 400-Seelen- Dorf, das zu Kappel am Albis im Säuliamt gehört – eine zehnminütige Fahrt vom Bahnhof Baar entfernt. «Ich bin ein Ewiger hier», sagt er und winkt links und rechts, biegt in die Vorfahrt seines Wohnhauses ein, dem seine Werkstatt gegenüber liegt. Im Hof lagert allerhand; das Tonhalle-Tor, von dem niemand wusste, woher es ursprünglich stammt, lehnte wohl irgendwo zwischen vielen weiteren Trouvaillen aus Eisen, die Häberling hortet, bis er sie vielleicht irgendwann zum Einsatz bringt. Dass er hier oben aufgewachsen ist, scheint so gar nicht zu seinen Auftragsbüchern zu passen: In der ganzen Stadt Zürich wimmelt es nämlich derart von Schmiede-Arbeiten aus seiner Hand, dass man meinen könnte, er wohne unter all den Brücken und bei den unzähligen Gartenhägen, die er restauriert, repariert oder spezialangefertigt hat.
In Häberlings Werkstatt wird geschmiedet, der Amboss klingt, der neue Induktionsofen zum flinken Erhitzen von Eisen quietscht. Im Radio läuft Popmusik, einer pfeift. Ein anderer erzählt von einem Ausflug, den der Schlossermeister-Verband in Zürich samt Spezialtram organisiert habe, um zu zeigen, wo Häberling seine Spuren hinterlassen hat: Da sind die Gitter bei der Villa Patumbah, am Gebäude der Credit Suisse am Paradeplatz, am Landesmuseum. Da sind die Geländer der Münsterbrücke, die Lampen der Stauffacherbrücke und vieles mehr. Vor einiger Zeit war ein Team des Opernhauses in Uerzlikon samt Schweizer Fernsehen zu Gast, um zu sehen, wie die Restauration ihres grossen Lüsters von statten geht. «Einer sagte, mein Büro sehe aus wie einst das von Alexander Pereira», sagt Häberling lachend – er wisse gar nicht, was das bedeuten könnte.
Im Rumpelkämmerchen stapeln sich Paperassen: Fotos und Briefe, Postkarten und Skizzen, dies und das. Geschickt klauben seine Finger ein Bild der alten Tonhalle hervor. «Schauen Sie her, da haben wir's!» – er deutet auf das Portal, das nun wieder zurück in Zürich ist samt dem kunstvollen Frauenkopf und den Harfen, die ihn all die Jahre zwar nicht auf die Herkunft des Tors, dafür aber auf die Qualität der Arbeit hingewiesen hatten: «Obwohl es derlei Ornamente in dieser Zeit als Massenware zu kaufen gab, war mir immer klar, dass es sich bei dem Tor um einen Schatz handelt.»
Des Eisens Erzfeind
Häberlings Nachwuchs hat es ebenfalls mit dem Metall: Die eine Tochter ist Goldschmiedin in Bern, der Sohn Kupferschmied im Atelier nebenan, die zweite Tochter ist Silberschmiedin im Betrieb des Vaters. «Er ist Detaillist», sagt sie, und er möge es, Altes zu erhalten, das dank seiner Sorgfalt weiterlebe. Ja, Detaillist, das könne man sagen, die Kollegen lachen und fügen bewundernd an, dass der Chef einen grossen Berufsstolz habe und entsprechenden Wert auf fachgerechte Arbeit lege. Wenn Häberling Pfuschereien erkenne, dann nerve ihn das kolossal.
Tatsächlich kann er lange schimpfen, wenn er über schlechte Lösungen für Metall nachdenkt, Feuchtigkeit und Sauerstoff sind nun mal des Eisens Erzfeind: «Sollen sie halt zuschauen, wie der verrostete Eiffelturm zusammenkracht», so komme das nämlich eines Tages, weil keiner hinsehe. Man muss nach Häberlings Meinung dringend die Teile auseinandernehmen, sauber entrosten, «nicht husch übermalen, damit es zur Olympiade hin hübsch aussieht». Wenn man dies nicht tue, dann bleibe der Rost wie Karies an den Zähnen hängen. «Wenn einer ein Loch im Zahn hat, dann pinselt er ja auch nicht einfach Weiss drüber.» Paris, Bern, Zürich – überall sei es das Gleiche.
Und so brachte es der Perfektionismus mit sich, dass auch das alte Tor und sein zugehöriges Geländer ziemlich viele Stunden sorgfältigster Arbeit in Anspruch genommen haben: In Sechs-Tage-Wochen während fünf Monaten wurde das Eisen erhitzt, Rost mittels Sandstrahler entfernt und alles wurde neu genietet. Der grosse Aufwand war es Häberling und seinem Team wert, alle waren angetan von dem, was da so lange vor der Haustür lag – bis eines Tages in der Werkstatt das Telefon klingelte und die Überraschung ans Licht kam: Im Blumengeschäft, in dem Häberling seiner Frau einen Strauss mitnahm und wo er das Tor als Leihgabe für eine Weihnachtsdekoration deponierte, wurde es offenbar von einem Kunden erkannt. Häberling fuhr gleich ins Baugeschichtliche Archiv und blätterte durch verschiedene Ansichten der alten Tonhalle. Es blieb kein Zweifel.
Die Geschichte des Tors hat einen weiteren Seitenflügel: Ein Bauer aus dem Dorf erzählte dem damals 20-jährigen Häberling von einem Zürcher, der in Arkansas, USA, lebe, den könne er ja mal besuchen. Das tat er und half dort kurzerhand, eine Scheune aufzustellen, es entstand eine Freundschaft. Als der Mann vor einigen Jahren verstarb, rief Häberling dessen Bruder an: Charles Roulet, den Hotel-Erben. Der sagte: «Du hast meinem Bruder damals mit der Scheune geholfen, das hat er mir erzählt, ich habe dann auch einmal einen Auftrag für dich.»
240 Meter lange und saubere Sache
Die plötzliche Zuordnung des Tors fiel zusammen mit der Renovation der Villa Rosau, die gegenüber der Tonhalle den Club Baur au Lac beheimatet. Der Auftrag, den Roulet meinte, war das Erstellen eines 240 Meter langen Gitterzauns um die Villa Rosau und den Gigon/Guyer-Neubau des Geschäftshauses Rosau, dessen Bauherr Roulet war. Häberling wollte einen Wettbewerb, «das gibt sonst nur Lämpen», habe er gesagt, habe mitofferiert und den Auftrag als günstigster Teilnehmer fair bekommen; einen Auftrag, den sich Roulet 2,6 Millionen Franken hat kosten lassen. Roulet sei ein Verrückter, sagt Häberling, «aber ein richtig Guter»: Wenn er Leidenschaft für ein Projekt entfache, dann mache er eben keine halben, sondern saubere Sachen. Die beiden standen also vor der Villa Rosau, genau da, wo jetzt das Portal steht. Häberling sagte: «Hier hängen wir das Tonhalle-Tor rein.» Zwar ohne die wohl endgültig verschwundenen beiden weiteren Flügel, dafür geeignet für die Durchfahrt der Clubbesucher.
So schliesst sich der Kreis. Und die verwickelte Geschichte um ein Stück Historie der Tonhalle Zürich findet ihr glückliches Ende.
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Richard Kessler ist Bratschist im Tonhalle-Orchester Zürich. Und er ist akribischer Sammler von Schätzen rund um die Geschichte seines zweiten Daheims, der Tonhalle. Zur Geschichte