Warum stecken Hornisten ihre Hand ins Instrument?
Unser Solo-Hornist Mischa Greull, der im «Fidelio» seinen letzten Auftritt hat, erklärt es.
Fragt man Mischa Greull, warum er und seine Hornisten-Kollegen jeweils die rechte Hand in den Schalltrichter ihrer Instrumente stecken, lacht er nur: «Es gibt nach jedem Konzert jemanden, der diese Frage stellt.» Das will etwas heissen: Mischa Greull, der das Orchester nach der bevorstehenden «Fidelio»-Aufführung nach 30 Jahren verlässt, hat in der Tonhalle Zürich und anderswo schon viele Konzerte gespielt. Aber es erstaunt kaum. Bei den Geigerinnen und den Kontrabassisten, den Fagottisten und Flötistinnen, den Schlagzeugern und der Harfenistin sieht man jederzeit, was sie mit ihren beiden Händen tun. Zupfen, streichen, Saiten und Klappen drücken: Selbst wer nicht weiss, was die Finger genau bewirken, hat doch eine Vorstellung davon, was sie leisten.
Nicht so bei den Hornisten und den künftig mitgemeinten Hornistinnen. Die linke Hand bietet mit der Bedienung der Ventile zwar Nachvollziehbares. Aber warum verschwindet die rechte im Horn, und was tut sie dort? Die Antwort hat mit praktischer Physik zu tun, mit der Luftsäule im Instrument und der Möglichkeit, sie zu verändern. Das beeinflusst nicht nur den Klang, sondern auch und vor allem die Tonhöhe. So wird der Klang immer tiefer, je mehr der Hornist den Schalltrichter verschliesst; aber wenn er ihn ganz dicht macht (respektive so dicht, wie es eben geht mit der Hand), wird er höher. Rund einen halben Ton nach oben und nach unten lässt sich die Intonation mit der Hand beziehungsweise dem sogenannten Stopfen oder Abdämpfen verändern.
Gleich ist nicht gleich
Das war entscheidend, als die Hörner noch keine Ventile hatten – also ungefähr bis zur Zeit von Brahms. Und es sorgt heute zusammen mit der Tatsache, dass die Intonation auch über die Lippen beeinflusst werden kann, dafür, dass Hornisten jeden Ton mit verschiedenen Griffen spielen können: als Naturton, aber auch als vertiefter oder erhöhter Klang. Allerdings ist derselbe Ton dann eben doch nicht ganz derselbe: Denn je nachdem, von wo aus er angesteuert wird, ergeben sich andere Obertöne und damit auch andere Klangfarben und harmonische Bezüge.
Kompliziert? Oh ja. Es sei trotzdem nicht so, dass Hornisten beim Spielen ständig an Physik denken, sagt Mischa Greull: «Irgendwann hat man das Zusammenwirken von Hand und Lippen und Luft im Gefühl.» Und auch der Dämpfer passt noch in diese Balance: Der hätte eigentlich dieselbe Wirkung wie die Hand, ist aber so konstruiert, dass die Tonhöhe gleich bleibt und nur der Klang sich verändert.
Johannes Brahms, Hornist
Was für Hornisten selbstverständlich ist, bringt Komponisten-Köpfe zum Rauchen. Es gebe vor allem im zeitgenössischen Repertoire immer wieder Werke, «die eher wie Kataloge klingen, weil alle Möglichkeiten des Horns irgendwie kombiniert werden», sagt Mischa Greull. Auf die Frage nach den besten Horn-Komponisten nennt er Mozart, «der hat die Wirkung der gestopften Töne extrem geschickt in seine Werke eingepasst». Ausserdem Brahms, der selbst Horn spielte und genau wusste, was gerade noch möglich ist. Und Mahler, der wie kein anderer die klanglichen Effekte auszunutzen verstand.
Letztlich gilt für Komponist*innen dasselbe wie für Hornist*innen: Sie müssen die Eigenheiten des Instruments so souverän beherrschen, dass das Publikum nicht Physik hört – sondern Musik.