Wer feiert seinen 80. Geburtstag mit 83?
Christoph Eschenbach, einst Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich, kehrt für zwei Konzerte zurück.
Er freue sich sehr, wieder hier zu sein, sagte der Dirigent Christoph Eschenbach zu Beginn seiner ersten Probe im grossen Tonhalle-Saal: «Es ist schön, nun auch die neuen Musikerinnen und Musiker kennen zu lernen. Das sind ja inzwischen fast alle.»
Tatsächlich: Christoph Eschenbach, Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich von 1982 bis 1986, ist für eine Woche der Dienstälteste in diesem Saal. Von der heutigen Besetzung hat einzig der Klarinettist Michael Reid die letzten Monate seiner Amtszeit noch mitbekommen.
Eschenbach selbst war 42, als er nach Zürich kam. Es waren turbulente Zeiten; der Vertrag von Gerd Albrecht war auf Wunsch des Orchesters nicht verlängert worden, Eschenbach sollte die Lücke zunächst als Erster Ständiger Gastdirigent füllen; aber nach wenigen Monaten beförderte man ihn zum Chefdirigenten.
Chefdirigent und Kammermusiker
Die Wahl war mutig, denn bis dahin war Eschenbach vor allem als Pianist gefeiert worden. 1965 hatte er den Clara-Haskil-Wettbewerb in Luzern gewonnen, das war der Beginn einer glanzvollen Karriere, die ihn immer wieder auch in die Tonhalle Zürich führte. 1972 gab er dann in Hamburg sein Debüt als Dirigent, den ersten Chefdirigenten-Posten trat er 1979 in Ludwigsburg an. Zürich war seine zweite Station.
Die Presse berichtete damals abwartend. Seine bisherigen Auftritte hätten «nicht enttäuscht», hiess es in der NZZ; «vor allem setzt sich das Ensemble unter seiner Führung gegenwärtig vorzüglich ein». Das war nicht selbstverständlich, die Stimmung im Orchester war wegen eines langjährigen Rechtsstreits um die Auswertung der Konzerte im Radio gereizt; die Musiker*innen fühlten sich ausgenützt und reagierten laut NZZ «ungünstig auf jeden Dirigenten, der in der Hitze der künstlerischen Arbeit ein unüberlegtes Wort spricht, von Klemperer über Kempe bis zu Gerd Albrecht».
Da war es zweifellos hilfreich, dass Christoph Eschenbach nicht nur als Dirigent kam. Als Pianist spielte er auch Kammermusik mit Orchestermusiker*innen (unter anderem auch mit Michael Reid, wie er sich heute noch erinnert). Und wenn er Mozart-Klavierkonzerte vom Flügel aus leitete, war er nicht nur auf Augenhöhe mit dem Orchester – sondern seiner Zeit auch ziemlich voraus.
Dass Eschenbach die aufgeheizte Atmosphäre zu beruhigen verstand, wurde denn auch schon bald als grosses Verdienst gewürdigt. Es waren trotzdem keine einfachen Jahre. Die Orchestertrennung, bei der 1985 das bis dahin in zwei Formationen organisierte Tonhalle- und Theaterorchester in zwei unabhängige Klangkörper aufgeteilt wurde, sorgte für Komplikationen. Und so sehr das hiesige Publikum den Pianisten Christoph Eschenbach bejubelte: Als Dirigent, der viele Erfahrungen zum ersten Mal machte, war er vor allem in den Medien nicht unumstritten. 1986 trat er zurück, wegen der «wachsenden internationalen Verpflichtungen» und den «zunehmend schwieriger werdenden künstlerischen Arbeitsbedingungen».
Feiern mit allen «seinen» Orchestern
Er war dann auch später immer wieder in Zürich, das Tonhalle-Orchester dirigierte er zuletzt 1995. Danach hob nach der Pianistenlaufbahn auch diese Karriere so richtig ab: Eschenbach wurde Chefdirigent beim NDR Sinfonieorchester, beim Philadelphia Orchestra, beim Orchestre de Paris, beim National Symphony Orchestra in Washington.
Zu allen diesen Orchestern hätte er anlässlich seines 80. Geburtstags zurückkehren wollen. Wegen Corona hat es etwas länger gedauert – aber nun, mit mittlerweile 83 Jahren, wird er sein Geburtstagskonzert mit dem Tonhalle-Orchester Zürich glücklicherweise endlich nachholen. Zwei Werke von Brahms stehen auf dem Programm, der einst ebenfalls in diesem Saal dirigiert hat und für Eschenbach in seiner Zürcher Zeit deshalb «ein Leitbild» war, «voll Mysterium und voll Inspiration», wie er einst schrieb. Dazu gibt es Elgars Cellokonzert mit Gautier Capuçon, der noch ein Baby war, als Eschenbach nach Zürich kam.
Vieles hat sich verändert seit damals, manches ist auch gleichgeblieben. Nach der ersten Probe schwärmt Eschenbach vom renovierten Saal, die Farben seien wunderbar. Und auch musikalisch sei er absolut glücklich: «Das Orchester ist in Topform. Und es hat immer noch den warmen Klang von damals.» Qualität setze sich nun mal fort, «die Älteren geben ihre Erfahrungen an die Jüngeren weiter». Auch wenn fast alle Musiker*innen neu sind: Ein bisschen ist dieses Konzert für Christoph Eschenbach dennoch wie ein Heimkommen.