Fazıl Say (Foto: Daniel Dittus)
Fokus-Künstler: Fazıl Say

Der Unberechenbare

Niemand aus der Topliga der Pianist*innen spaltet das Publikum so sehr wie der türkische Ausnahmemusiker Fazıl Say. Bei uns spielt er nun Mozart und eigene Werke.

Susanne Kübler

Hamburg, Elbphilharmonie, im November 2022. Vor dem Tonhalle-Orchester Zürich sitzt, nein: wogt Fazıl Say hinter dem Flügel. Alles ist in Bewegung, sein Oberkörper, sein Blick, die Füsse; manchmal wendet er sich so sehr in Richtung Orchester, dass er beinahe die Balance zu verlieren droht. Und wenn seine linke Hand gerade nichts anderes zu tun hat, dirigiert er hinter Paavo Järvis Rücken mit. Man könne diesem Fazıl Say ja nicht zuschauen, sagt ein Zuhörer danach in der Pause.

Andere dagegen schwärmen in den höchsten Tönen. Denn die Ruhe, die der Pianist auf diesem Podium so ganz und gar nicht zu finden schien, war musikalisch umso vollkommener. Unendlich still und schlicht, zärtlich und liebevoll spielte Say den langsamen Satz von Mozarts Klavierkonzert Nr. 23. Und im Einklang mit der Musik wirkten selbst die Dirigier-Gesten nicht seltsam, sondern stimmig: Als ob er seine Töne und Melodien persönlich ins Orchester tragen wollte.

Es war ein Auftritt, wie er typisch ist für den 1970 geborenen türkischen Pianisten, der in dieser Saison als Fokus-Künstler in der Tonhalle Zürich auftritt. Er polarisiert wie nur wenige Solist*innen der obersten Liga; die einen halten ihn für ein Genie, die anderen für einen Scharlatan. Dabei ist er vor allem eins: ein Pianist, der stets aufs Ganze geht.

Fazıl Say und Paavo Järvi bei den Proben in der Elbphilharmonie (Foto: Daniel Dittus)

Fazıl Say brennt für die Musik, er scheint die Werke jedes Mal neu zu erfinden, neu zu durchleben. Er spielt radikal subjektiv, ungestüm, intensiv; das gepflegte Reproduzieren eines Notentexts überlässt er anderen. Seine Gesten und sein gelegentliches Mitsummen sind dabei durchaus nicht Teil einer Show; er braucht sie, um mehr aus dem Flügel herauszuholen, als eigentlich drinsteckt – wobei das jedes Mal etwas anderes ist. Wenn er nun demnächst auch in Zürich Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 spielt, kann man gleich zwei Wetten eingehen: dass er es anders tut als in Hamburg. Und dass es ganz bestimmt nicht langweilig wird.

Personifizierter Widerspruch

Fazıl Say ist unberechenbar, im besten Sinne. Ein musikalischer Abenteurer und Querdenker, eine durch und durch authentische Persönlichkeit. Man erlebt es nicht nur im Konzert, sondern auch im Gespräch mit ihm. Charmant kann er sein oder angriffig, eloquent oder einsilbig. Er kann in unüblicher Offenheit eingestehen, dass in seinen Konzerten auch mal etwas schiefgeht, oder dass er keinen Zugang findet zu manchen von Debussys Préludes. Er kann auch messerscharf analysieren, was gerade falsch läuft im Musikbetrieb (zu wenig Risikofreude!). Und selbst wenn er sich öffentlich kaum noch politisch äussert, seit er 2012 in der Türkei wegen «Verunglimpfung religiöser Werte» angeklagt wurde: Wofür er steht, macht er dennoch unmissverständlich klar.

Zum Beispiel, wenn er über seine Mission spricht. Er hat eine, auch wenn er das Wort wohl nicht verwenden würde. In seiner Heimat will er die klassische Musikkultur verbreiten, umgekehrt bringt er türkische Klänge in den Westen. Er macht es sozusagen als personifizierter Widerspruch: «Die Türkei und der Beruf eines Pianisten sind zwei Dinge, die eigentlich nicht zusammenpassen», hat er einmal gesagt; er habe erst Brücken bauen müssen, bevor er selber darüber gehen konnte.

So trat er jahrelang in ostanatolischen Dörfern auf, in denen es weder Konzerthäuser noch Flügel gab – und er täte das wohl heute noch, wenn sich nach wie vor einen Sponsor fände, der das logistisch aufwendige Projekt unterstützen würde. Umgekehrt bringt er in seinen eigenen Werken türkische Melodien und Rhythmen in die westeuropäischen Konzertsäle. Manche hat er in den Dörfern gesammelt wie einst Bartók, mit anderen ist er aufgewachsen.

Hypnotische Musik

In der Tonhalle Zürich stellt er einige dieser Werke in einem Kammermusik-Programm mit der Sängerin Serenad Bağcan vor. Auch seine neueste Klaviersonate «Yeni hayat» wird er spielen, mit der er bei der Opus-Nummer 99 angekommen ist; das Komponieren ist keine Nebenbeschäftigung für ihn, sondern genau wie das Spielen eine Notwendigkeit.

Wie sehr, war auch in der Hamburger Elbphilharmonie zu erleben. Als Zugabe nach dem Mozart-Konzert spielte Fazıl Say sein «Black Earth» von 1997, das ebenfalls auf seinem Zürcher Kammermusik- Programm steht. Es ist ein geradezu hypnotisches Werk, in dem er mit der rechten Hand ein ums andere Mal ein Dreitonmotiv in die Bässe wuchtet – und dazwischen mit der linken die Saiten im Innern des Flügels so abdämpft, dass dieser klingt wie ein traditionelles türkisches Instrument.

Auch diese Zugabe spaltete das Publikum in Irritierte und Faszinierte. Denn sie katapultierte einen erbarmungslos aus Mozarts Klangwelt hinaus, einerseits. Andererseits: War nicht gerade Mozart begeistert von Klängen «alla turca»? Hat nicht auch er mit grösstem Vergnügen die Traditionalisten aufgeschreckt?

Sicher ist: Fazıl Say geht es mit einer solchen Kombination nicht darum, zu provozieren. Sondern darum, zu zeigen, wer er ist, wie er die Musik und die Welt sieht. Und dass es wichtigere und spannendere Dinge gibt, als allen gefallen zu wollen.

April 2023
So 02. Apr
17.00 Uhr

Kosmos Kammermusik – Fazıl Say

Fazıl Say Klavier, Serenad Bağcan Gesang Say
AUSVERKAUFT
März
Do 23. Mrz
19.30 Uhr

Fazıl Say spielt Mozart

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Fazıl Say Klavier Mozart, Strauss
AUSVERKAUFT
Mi 22. Mrz
19.30 Uhr

Fazıl Say spielt Mozart

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Fazıl Say Klavier Mozart, Strauss
AUSVERKAUFT
veröffentlicht: 20.03.2023

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