Drei Geigerinnen, drei Welten
Demnächst spielt Isabelle Faust in der Tonhalle Zürich. Als dritte grosse Geigerin, die in dieser Saison zu Gast ist.
Die Gemeinsamkeiten sind rasch aufgezählt: Hilary Hahn, Janine Jansen und Isabelle Faust stehen alle drei ganz oben auf den Solist*innen-Wunschlisten der internationalen Orchester. Sie sind in den 1970ern geboren und gehören damit zu jener Generation, für die man einst den Begriff der Geigen-Girlies geprägt hat. Und sie machten alle drei schon sehr früh klar, dass dieses Etikett kein bisschen zu ihnen passt.
Dass sie das schafften, hat mit einer letzten Gemeinsamkeit zu tun: Sie sind keine Virtuositäts-Automaten, sondern höchst eigenständige musikalische Persönlichkeiten – und als solche nun allerdings denkbar unterschiedlich.
Die Amerikanerin Hilary Hahn zum Beispiel – die erste der drei, die in dieser Saison in die Tonhalle Zürich kommt – hat eine Vorliebe für anschauliche Vergleiche; sie spricht im Zusammenhang mit Musik auch mal von einer Waschmaschine, in der Strukturen und Emotionen durcheinandergewirbelt werden. Wobei klar ist, dass sie es ist, die das Waschprogramm sowohl austüftelt als auch steuert: Hilary Hahn ist im Kopf ebenso beweglich wie in den Fingern; sie ist eine kluge, grundehrliche Gestalterin, für die ihr auffallend schöner Klang nicht Selbstzweck ist, sondern ein überaus nuanciert beherrschtes Ausdrucksmittel.
Schleudergang oder Feinwaschprogramm?
Ihre niederländische Kollegin Janine Jansen dagegen gehört eher zu jenen Musiker*innen, die sich selbst in die Waschmaschine hineinsetzen. Es passiert etwas mit ihr auf dem Konzertpodium, und sie scheint zu Beginn eines Auftritts jeweils selbst nicht zu wissen, was es sein wird: warm oder kalt? Schleudergang oder Feinwaschprogramm? Die Entscheidung fällt erst im Moment des Spiels. Das bedeutet nun nicht, dass Jansen nicht vorbereitet wäre. Sie ist es im Gegenteil so sehr, dass alle Optionen offen sind; dass sie nicht nur auf ihre Mitmusiker*innen, sondern auch auf sich selbst hören kann.
Janine Jansen gibt vieles von sich preis auf dem Podium – und auch daneben. Als verletzlich wird sie oft beschrieben, als «durchlässig» auch: Weil sie offen über die Krise spricht, seit der sie ihre Auftritte auf rund 80 pro Jahr beschränkt hat. Und weil diese Auftritte von glühender Intensität sind; er kenne nicht viele Musiker*innen, «die sich so emotional und körperlich in jede Note hineingeben», sagt Music Director Paavo Järvi über sie.
Die deutsche Geigerin Isabelle Faust schliesslich will – um im Bild zu bleiben – genau wissen, wer die Waschmaschine gebaut respektive die Musik komponiert hat; und wie und wofür und aufgrund welcher Ideen. Auf der einen Seite interessiert sie sich brennend für die historisch informierte Aufführungspraxis, auf der anderen arbeitet sie immer wieder mit zeitgenössischen Komponisten zusammen. Das Alte und das Neue nehmen viel Raum ein in ihrem Repertoire, mehr als bei ihren beiden Kolleginnen; das beeinflusst auch ihren Zugriff auf das klassisch-romantische Kernrepertoire. Die Intimität von Brahms’ Violinkonzert etwa, so sagte sie einmal, habe sie erst nach der Lektüre seiner Briefe verstanden.
Wunderkind und zweite Geige
Das Stichwort Intimität ist ein wichtiges für Isabelle Faust, denn selbst wenn sie als Solistin vor einem Orchester steht, bleibt sie Kammermusikerin. Das ist kein Zufall: Sie ist in einer Musikerfamilie aufgewachsen, im häuslichen Streichquartett spielte sie noch als Fünfzehnjährige die zweite Geige – das hat sie zutiefst geprägt. Am zweiten Pult gehe es darum, auf die anderen zu reagieren und Zusammenhänge zu entdecken, so hat sie es einst in einem Interview formuliert; «wenn man als Kind dagegen ganz alleine sechs Stunden am Tag Paganini-Capricen rauf und runter übt, dann hat man nicht dasselbe gelernt».
Hilary Hahn dürfte schon früh Paganini gespielt haben, sie galt als Wunderkind; ihre Eltern waren keine Musiker, haben die begabte Tochter aber intensiv gefördert. Mit zehn Jahren spielte sie ihr erstes Solokonzert, mit zwölf debütierte sie als Solistin beim Baltimore Symphony Orchestra; Kammermusik hat sie erst später für sich entdeckt.
Janine Jansens Werdegang liegt da exakt in der Mitte: Einerseits stammt sie wie Isabelle Faust aus einer Musikerfamilie, andererseits stand sie wie Hilary Hahn bereits als Zehnjährige als Solistin vor Publikum. Auf die Frage, ob sie lieber kammermusikalisch oder solistisch auftrete, hat sie einmal geantwortet, ihr sei beides gleich lieb – «das ist jetzt ziemlich langweilig, nicht wahr?»
Nein, ist es nicht, im Gegenteil. Lange genug wurde in der Klassikszene Tiefsinn auch dort zelebriert, wo keiner ist. Dass Jansen so authentisch wirkt, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sie das nicht tut. Es ist nun mal nicht alles in einem Geigerinnenleben spektakulär; das musikalische Erlebnis wird keineswegs abgewertet, wenn man das zugibt.
Üben auf Instagram
Auch Isabelle Faust hat keine Lust, glänzende Fassaden zu pützeln; nicht in Interviews, auch nicht in ihrem Kalender. Weit mehr als die grossen Adressen interessiert es sie, mit wem sie auftritt. Musik hat bei ihr viel mit Freundschaft zu tun – und nichts mit Allüren.
Und Hilary Hahn? Auf der Bühne kommt sie dem Bild einer glamourösen Sologeigerin wohl am nächsten. Aber gleichzeitig lässt sie sich in die Saiten schauen, wenn sie auf Instagram Clips veröffentlicht, für die sie sich 100 Tage lang beim Üben filmt. Man sieht sie da in allerlei Hotelzimmern und Hinterbühnen-Kämmerchen, im T-Shirt und in Wolljacke, hoch konzentriert und auch mal lustlos, mit dem Instrument und beim Vorbereiten der Partitur am iPad. Bis zu 70’000 Menschen schauen sich diese Clips an. Und kein Zweifel: Wenn sie Hilary Hahn dann bei einem Auftritt erleben, werden sie wissen, was es heisst, dort oben zu stehen.