Porträt

Wintermantel für die Seele

Da sitzt er wieder, Peter McGuire, zweiter Konzertmeister im Tonhalle-Orchester Zürich. Ganz vorn bei den ersten Geigen. Oder steht als Solist im Rampenlicht, wenn Nachwuchsdirigentinnen und -dirigenten beim Abschlusskonzert von Paavo Järvis Conductors' Academy das Gelernte anwenden. Wo war er all die Jahre? Warum hat er die Tonhalle Maag ausgelassen? In seiner Heimat war er. Der Familie zuliebe.

Peter McGuire ist wieder da. Meist sitzt er neben George-Cosmin Banica, wie er es immer tat, als zweiter Konzertmeister im Tonhalle-Orchester Zürich. «Mein musikalischer Bruder», sagt Peter, «all die Klitzekleinigkeiten, die wir gleich empfinden, gleich temperieren». Vieles ist noch beim Alten innerhalb des Orchesters, innerhalb seines Registers. Manches ist neu, noch strahlender, noch einladender, wie Peter sagt: Die renovierte Tonhalle, die er so liebt. Paavo Järvi als Chef. Die Klangkultur, noch ausgeklügelter und gereift durch die Jahre in der Interimsspielstätte, der Tonhalle Maag. Peter hat Zürich nicht verlassen, weil ihn Zürich West nicht interessierte, er tat es nicht für sich, sondern für seine eigene Familie, die es neben der beruflichen in seinem Leben gibt. Er zog weiter westlich als das Orchester, zurück in seine Heimat Minnesota an der kanadischen Grenze.

Verkettet mit Mutter

Peter, heute 45, hat seine Frau im Alter von 15 Jahren kennengelernt. Sie, zwei Jahre älter, stand hinter einem Tresen im Shoppingcenter und verkaufte Schmuck, sein Kumpel wollte sie ansprechen. «Mir hat sie aber auch gefallen, und zu meinem grossen Glück habe ich es besser gemacht als er», Peter entschied sich flux, seiner Mutter zum Geburtstag eine kleine Kette zu kaufen, gab der Verkäuferin seines Vertrauens die Telefonnummer, weil er am Schmuck etwas ändern liess. Sie war zwar sicher, dass die Mutter am Ende der Leitung Peters Freundin war, all das klärte sich aber auf, die Dinge nahmen ihren Lauf. Das Paar hat inzwischen vier Kinder und ist seit 26 Jahren verheiratet.

Zwei der Kinder sind schon gross: 17 und 20. Die kleineren beiden: 9 und 11. Die Älteren hatten Heimweh, als sie ins Teenager-Alter kamen, sie wollten zurück zu ihren Freundinnen und Freunden, zu den Grosseltern, heim in die kleine Universitätsstadt neben Minneapolis, wo die Temperatur im Winter weit unter den Gefrierpunkt fällt, die Luft staubtrocken. Die Sommer dafür heiss und feucht. «In Zürich schimpfen sie alle, wenn ein Lüftchen kommt», sagt Peter, er tätschelt die gepolsterte Schutzhülle um seine Geige und sagt: «Ihr Wintermantel, ein Souvenir aus Minnesota.»

Rückflugbillett, lautend auf Dvořák

Peter fiel es nicht leicht, Zürich und dem Orchester Adieu zu sagen. Daheim in Thalwil aber wurde der Wunsch immer lauter, in die USA zurückzukehren. Zwei unglückliche Menschen unterm Dach. Und welches Argument wäre dem Vater geblieben, als er im Minnesota Orchestra eine Stelle als Stimmführer der zweiten Geigen angeboten bekam?
Die McGuires packten die Koffer, Peter glaubte damals nicht, dass er sechs Jahre später wieder hier sein könnte. Zwar zog die Familie nicht zurück auf die Farm mit Hühnern und Schafen, die sie 2012 für Peters Stelle in Zürich aufgegeben hatte.
Gut war es für den Moment aber trotzdem, in der alten Heimat zu sein. Und wer weiss, vielleicht wäre er geblieben, wenn nicht zwei wegweisende Ereignisse eingetroffen wären: Peter hörte das Tonhalle-Orchester im Livestream Dvořák spielen, «dieser unendlich warme, weiche Klang, dieses kultivierte, kunstvolle Miteinander.» Dann war da ein Gastdirigent beim Minnesota Orchestra, dieser fragte ihn, warum er nicht lieber in Europa spielen wolle, nannte eine Handvoll Orchester, die er stimmiger für ihn fände, weniger aufs Technische, mehr auf die Kunst bedacht. Darunter eben auch seins in Zürich.

Hier aber war seine Stelle besetzt, jemand im Probejahr, Peter wollte fair sein. Ohnehin brauchte alles seine Zeit, die Grossen zwar inzwischen alt genug, um in den USA zu studieren und ihren eigenen Weg zu gehen, viele Verwandte in den vergangenen Jahren gestorben, der Bruder mit seiner Familie sogar nach Deutschland gezogen. Als er dann aber sah, dass es den Platz neben George-Cosmin Banica zu besetzen galt, ging alles schnell und lief so glatt, dass Peter sein Glück noch immer kaum fassen kann. Die Probezeit ist bereits durch, seine Frau und die beiden jüngeren Kinder leben sich gut ein in Zürich Unterstrass, ein Katzensprung zu Oper und Tonhalle, so viel Kultur überall, so viele Chancen, wie Peter sagt.

Securitymann und Pizzaiolo

Europa war lange eher Traum als Option. Lange hatte er nämlich keinen Überblick über die Möglichkeiten einer Karriere als Musiker, obwohl sein Vater klassischer Gitarrist ist und noch heute in seinem Jazz-Trio musiziert, obwohl die Eltern ihm eine Geige in die Hände gaben, noch bevor er fünf Jahre alt war. Sie legten etliche Kilometer im Auto zurück für Geigenstunden während einer Schulzeit, die Peter nicht stark interessierte. Er war drei, als er eine Gruppe von Kindern geigen hörte, seither ist das Instrument sein Lieblingsspielzeug geblieben.

Irgendwann aber holte ihn der Ernst ein: Es war in New York, wo er mit 18 Unterricht bei einer Lehrerin an der Manhatten School of Music vermittelt bekam. Upper west side 130, Broadway, heute eine schöne Gegend zwar, aber das Leben hart: Ein Zimmer, zwei auf drei Meter, das er sich mit einer Kollegin teilte, im Lift lag manchmal einer, den es zusammengelegt hatte, die Nächte schlug er sich in einem Deli als Verkäufer um die Ohren oder als Orchestertechniker, daneben übte er, wann immer er konnte. Auch später, als er das Geld für sein Studium zusammensparte: Peter arbeitete als Pizzaiolo, als Lebensmittelverkäufer, als Securitymann, all dies, weil er nicht wusste, wie er seinen Lebensunterhalt als Musiker hätte verdienen können, dass ein Stipendium kein Problem sein würde. Dinge, die er Tropfen für Tropfen lernte, bis Zuversicht und Leichtigkeit sein Berufsleben zu bestimmen begannen.

Und nun? «Nun bin ich wieder zuhause», sagt Peter. Ja, es sei ein Heimkommen gewesen seelisch. «Mahler 3 mit Paavo Järvi in diesem zauberhaften, intimen Saal mit so viel Geschichte, ein Klang, der mich warm einhüllt. Und ein Repertoire gross wie die Welt.» Morgen zeigt Peter im Livestream und für Interessierte vor Ort sein Können solistisch: Er spielt anlässlich von Paavo Järvis Conductors' Academy Beethovens Violinromanze Nr. 2 in F-Dur.

Melanie Kollbrunner

published: 07.04.2022